Bille und Zottel 02 - Zwei unzertrennliche Freunde
gebissen wird, ist selber schuld, kapiert?“
„Nun komm schon!“ Jens und Kuddel schoben Bille die Treppe hinauf und schubsten sie in ein Zimmer, dessen Boden mit alten Kleidungsstücken und Kopfbedeckungen übersät war. „Los, such dir was aus! Und dann muß ich dich noch anmalen", drängte Jens.
„Anmalen?“
„Klar, das gehört doch dazu.“
„Na schön.“ Bille wühlte unentschlossen in den alten Sachen herum. „Wo habt ihr denn das ganze Zeug her?“
„Auf dem Boden gefunden. In einer Mottenkiste.“
Bille griff sich aus dem Haufen eine alte Uniformjacke und einen Gegenstand undefinierbarer Farbe, der einstmals wohl eine Baskenmütze gewesen war. Jens kam mit einem Stück ausgebrannter Holzkohle und malte ihr einen gewaltigen Schnurrbart, während Kuddel ihr einen roten Schal umlegte, der ihr das Aussehen eines verwegenen Rebellen verlieh.
„Deine Reitpeitsche kannst du als Säbel nehmen. Damit treibst du die gaffende Menge auseinander“, sagte er wichtig. „Sag mal, liest du eigentlich viel?“
„Klar.“
„Drum.“
„Drum was?“
„Du hast so eine blühende Phantasie. Gaffende Menge — ich denke, der heilige Martin war mit dem Bettler mutterseelenallein in kalter Winternacht.“
„So, und wer hat dann die ganze Geschichte beobachtet und weitererzählt?“ fragte Kuddel beleidigt.
„Na schön. Dann haue ich also mit dem Säbel in die gaffende Menge.“
Jens hatte sich inzwischen in einen zerschlissenen roten Samtvorhang gehüllt und ein Sofakissen auf den Kopf drapiert, das er mit einem bunten Tuch befestigte. Er sah aus wie eine schwindsüchtige Ente.
„Und was soll Kuddel anziehen?“ fragte Bille.
„Gar nichts, er geht nackend.“ Die Jungen kicherten.
„Er geht was, bitte? Ich höre wohl nicht richtig! Bei dem Wetter — nein, da mache ich nicht mit! Nachher werde ich noch dafür verantwortlich gemacht, daß er an Lungenentzündung stirbt!“
„Nun warte doch mal ab!“
Kuddel war im Nebenzimmer verschwunden und kam nach einer Weile im Kostüm wieder heraus. Von den Hüften herunter baumelten ihm verschiedene Lumpen, daß es aussah, als trüge er ein Hula-Röckchen. Der Oberkörper steckte in einem fleischfarbenen Trikot, das einmal zu einem Dornröschenkostüm von Elli gehört hatte. Darauf hatten die Jungen mit Kohlestift die Rippen des verhungerten Bettlers gezeichnet und das Ganze mit einer Reihe grausiger Wunden verziert.
„Schaurig-schön“, sagte Bille beeindruckt. „Aber nun laßt uns endlich losziehen, ich möchte nicht erst um Mitternacht wieder nach Hause kommen.“
Jens ergriff einen zweiten roten Vorhang, den er dem Bettler als Teil seines Mantels reichen würde. Sein Holzschwert hatte er sich in den Gürtel gesteckt. Mit gerafften Röcken stolperten die Jungen vor Bille her die Treppen hinunter auf den Hof.
„Donnerwetter, das habt ihr prima hingekriegt!“ platzte Jens heraus.
Sein Sofakissen als Turban verdeckte Bille die Sicht, deshalb konnte sie nicht sehen, was seine Begeisterung erregt hatte. Als sie es schließlich sah, verschlug es ihr für einen Augenblick die Sprache. Vor ihr stand ein schneeweißer Zottel in einer großen Lache aus verschüttetem Mehl, das auf dem feuchten Boden schnell zu einer schmierigen Pampe geworden war.
„Seid ihr vom wilden Affen gebissen?“ keuchte Bille, als sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte.
„Wieso? Wir haben ihn doch bloß ‘n bißchen für seinen Auftritt geschminkt. Der heilige Martin ist schließlich auf einem Schimmel geritten!“ verteidigte sich der Haupturheber.
„Na, dann kann ich mir ja noch gratulieren, daß er nicht auf einem Rappen geritten ist. Ihr hättet es fertiggebracht, Zottel von oben bis unten mit schwarzer Schuhkreme einzustreichen! Kannst du mir mal verraten, wie ich das Zeug wieder wegkriegen soll?“
„Och, beim nächsten Regen geht’s sowieso runter“, sagte Kuddel tröstend.
„Du hast vielleicht eine Ahnung. Na kommt, jetzt ist sowieso nichts mehr zu ändern. Steig auf, du komischer Heiliger.“
Bille half Jens in den Sattel. Ein kleiner Rotschopf mit Backen wie ein Posaunenengel schulterte den Sack für die Geschenke, Kuddel setzte eine erbarmungswürdige Bettlermiene auf und begann, schon mal zur Probe zu stöhnen und zu jammern, und der Rest der Mannschaft formierte sich als Gefolge. Mit wankenden Laternen machten sie sich auf den Weg.
Jens schien für gute Mundpropaganda gesorgt zu haben. Kaum stimmten sie ihre Gesänge an, öffneten sich
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