Bille und Zottel 06 - Gefahr auf der Pferdekoppel
Schweiß und Blut, ihr Atem ging flach und stoßweise. Simon kniete neben ihr und starrte sie mit einem Ausdruck von so fassungsloser Verzweiflung an, daß Bille einen würgenden Kloß im Hals spürte.
„Laßt mich in Ruhe!“ flüsterte Simon gepreßt, ohne aufzuschauen.
Bille glitt leise neben ihm ins Stroh und kauerte sich dicht an den Rücken der Stute. Mit gleichmäßigen Strichen fuhr sie ihr zärtlich über Hals und Kruppe.
„Du darfst nicht sterben, Pünktchen“, sagte sie fast tonlos.
„Du wirst leben! Du mußt nur wollen! Dein Leben fängt doch erst richtig an! Wir glauben ganz fest daran, daß du gesund wirst, wir wollen es mit aller Kraft . . . und du wirst auch gesund werden! Ich weiß es! Ich glaube daran. Du wirst leben, Pünktchen. Du wirst leben!“
Billes Hand lag jetzt ruhig auf dem Hals der Stute. Sie spürte, wie die Wärme zunahm und sich auf den Körper des Pferdes übertrug.
„Leg deine Hand dorthin, wo ihr Herz ist“, flüsterte Bille. „Wir müssen ganz fest daran denken, daß es ihr mit jeder Sekunde besser geht. . .“
Simon gehorchte. Im Stall wurde es still. Die anderen waren gegangen. Der Himmel hatte sich mit einem dunkelvioletten Samtvorhang bedeckt, es war Abend geworden.
Stundenlang saßen Bille und Simon im Stroh. Sie sprachen kein Wort, niemand störte sie. Nur ein einziger Gedanke hatte in ihnen Raum: Pünktchen muß leben! Sie spürten nicht, daß die Knie schmerzten, daß die Arme lahm wurden. Es war, als wollten sie die Stute in eine Wolke von Mut und Vertrauen einhüllen, bis sie ganz durchdrungen war von dem Wunsch zu leben. So jedenfalls stellte Bille es sich vor, stellte sich vor. wie ihre Wünsche und Gedanken zu einem breiten, heilenden Strom wurden, der sich auf die Stute übertrug, den leblosen Körper mit neuem Leben erfüllte. Richtig feierlich wurde ihr zumute.
Sie wußten nicht, wie lange sie so gesessen hatten, als die Stalltür aufging und jemand das Licht anschaltete. Leise trat der Tierarzt in die Box und begann, Pünktchen zu untersuchen. Bille schien es eine Ewigkeit zu dauern, und je länger es dauerte, desto größer wurde ihre Angst. Simon schien es ähnlich zu gehen, Bille sah, wie er die Lippen aufeinanderpreßte. Da endlich richtete sich der Tierarzt auf.
„Vielleicht schafft sie es“, sagte er nachdenklich. „Bleibt bei ihr, es scheint ihr gutzutun. Ich gebe ihr jetzt noch eine Spritze. Sobald sie aufsteht, versucht, ob sie trinken oder etwas fressen möchte. Und ruft mich bitte sofort an, wenn sich ihr Zustand verschlechtert.“
Doktor Dörfler ging, und bald darauf tauchte Bettina auf und fragte, ob sie etwas tun könne. Bille und Simon schüttelten nur stumm die Köpfe. Trotzdem kam Bettina kurz darauf mit einer Thermosflasche voll heißem Kakao und zwei belegten Broten wieder. Außerdem brachte sie zwei Decken mit.
„Ich habe bei dir zu Hause angerufen, Bille“, sagte sie leise. „Es ist alles okay.“
„Danke!“
Wieder versanken sie in Schweigen. Pünktchens Atem ging ruhiger, sie schien jetzt entspannt zu schlafen. Bille und Simon hüllten sich in die Decken und hörten nicht auf, die Stute beruhigend zu streicheln. Die Umrisse der Box verschwammen, Bille fühlte sich wie in einem Nebelsee schwimmen, alles um sie herum erschien unwirklich, wie im Traum . . .
Als sie erwachte, fiel das erste Tageslicht durch die Stallfenster. Neben ihr lag Simon und schlief fest. Pünktchen! war Billes erster Gedanke. Der Platz, wo die Stute gelegen hatte, war leer. Bille fuhr hoch. Da stand sie . . . stand an der Raufe und fraß langsam und bedächtig ihr Heu, so als dächte sie: Es fällt mir zwar schwer, es kostet mich alle Kraft. . . aber ich muß es tun, um gesund zu werden.
Neben Bille rieb Simon sich verschlafen die Augen.
„Sie hat es geschafft!“ rief Bille atemlos. „Menschenskind, sie hat es tatsächlich geschafft!“
„Wir haben es geschafft“, sagte Simon leise.
Isidor will nicht rechnen lernen
Der Gutshof lag verlassen in der Mittagssonne. Wie immer am Samstag nachmittag herrschte in den Ställen bereits Feiertagsstille. Ein paar Spatzen lärmten um eine Pfütze, in Frau Lohmeiers Küche plärrte ein Radio etwas, was mit Herz und Schmerz zu tun hatte, sonst war kein Laut zu hören.
Dies war genau die richtige Zeit für Edmund, seine Reitkünste zu vervollständigen. Bille nahm ihn nun nicht mehr an die Longe, sondern ließ ihn durch die ganze Länge der Bahn traben und galoppieren, was ihn zwang, seinen
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