Bille und Zottel 16 - Pusztaferien und Ponybriefe
gefärbt, den Bille bislang für eine Erfindung des Kinofilms gehalten hatte. Sein Charme war buchstäblich umwerfend, denn als er sie jetzt in die Arme schloß, hatte sie Mühe, ihr Gleichgewicht zu bewahren.
„Herzlich willkommen in Szent György Vár! Meine armen Kinder, ihr müßt todmüde und halb verhungert sein! Kommt herein, bittschön!“
Bille strahlte ihren Gastgeber an.
„Ich freue mich riesig, daß wir zu Ihnen kommen dürfen, Herr Sisak! Ich bin noch ganz durcheinander, das ist ja ein richtiges Schloß!“
„Nicht doch, nicht doch, für euch bin ich Onkel Sándor, Sándor-Bácsi heißt das auf ungarisch . Ihr müßt mir du sagen. Wir sind ja fast wie Familie, no, hab ich recht?“
„Also gut - Sándor-Bácsi. Ich bin Bille. Und das ist Simon. Gehört dir das alles?“ Bille machte eine weite Geste vom Schloß über den Park bis zu den Stallungen hin. Sándor Sisak lachte.
„Gehören? Nein, einen solchen Privatbesitz gibt es in Ungarn nicht mehr. Ich bin der verantwortliche Leiter des Betriebes. Der Direktor sozusagen. Zuerst hatten wir nur das Gestüt. Dann sind immer mehr Feriengäste gekommen. Wir richteten Reiterferien und -kurse ein.
Schließlich kam man auf den Gedanken, das heruntergekommene Schloß zu sanieren, um mehr Gäste hier unterbringen zu können. Nun haben wir also ein richtiges Hotel. Es ist nicht groß, aber sehr gemütlich, wie ihr sehen werdet. Kommt erst mal herein, Gyula wird euch später helfen, das Gepäck in euer Quartier zu bringen. Es ist drüben im alten Gästehaus, da gibt es ein paar sehr gemütliche Stuben über dem Pferdestall unterm Dach, jede mit einer eigenen Dusche, und sogar eine kleine Küche ist dort. Da seid ihr ganz ungestört. Aber nun müßt ihr Márika begrüßen, sie ist schon sehr neugierig auf euch!“
Márika entpuppte sich als Sándors Frau. Sie sah ihm ähnlich wie eine Schwester, und die beiden wirkten genau so, fand Bille, wie man sich ein Gutsherrnehepaar aus dem Bilderbuch vorstellte. Sie wurden auch von Tante Márika - Márika-Néni - mit überschwenglicher Herzlichkeit begrüßt und sofort an einen reichgedeckten Tisch genötigt. Offenbar glaubten ihre Gastgeber, sie hätten seit drei Tagen nichts mehr zu essen bekommen, denn trotz der späten Stunde wurde jetzt aufgetragen wie zu einem Festessen: ein Kupferkessel mit Gulasch, Würste, Schinkenspeck, mit Kraut gefüllte Paprikaschoten, panierte Pilze und frischer Schafskäse. Bille und Simon griffen kräftig zu. Zwischendurch mußten sie Fragen über Fragen beantworten, nach Groß-Willmsdorf, Hans Tiedjen und seinem Sohn Tom, nach den Pferden und den Turniererfolgen der letzten Saison und schließlich nach ihren Reiseerlebnissen in Wien. Natürlich weckte Billes
Beschreibung ihres Abenteuers mit dem durchgehenden Fiakergespann ganz besonders das Interesse ihrer Gastgeber.
„Wenn ich das so höre“, sagte Sándor-Bácsi, „dann möchte ich euch gleich ganz hierbehalten! Ich hätte viel
Arbeit für euch.“
„Warum nicht?“ sagte Bille übermütig. „Gleich morgen fangen wir an. Was sollen wir tun?“
„Sag das nicht so leichtsinnig“, warnte Márika-Néni, „er nimmt dich beim Wort. Uns ist heute nämlich einer unserer Bereiter davongelaufen - aus Liebeskummer, stellt euch vor! Er ist einem Mädchen nachgefahren, das ihn verlassen hat. Jetzt fehlt uns für morgen ein zweiter Begleiter für eine Reitergruppe aus Deutschland. Sie behaupten zwar immer alle, erfahrene Reiter zu sein, aber in der Praxis stellt sich das nur allzuoft als Übertreibung heraus. Das ist für die anderen Teilnehmer sehr ärgerlich, wenn man auf unerfahrene Anfänger Rücksicht nehmen muß.“
„Ja“, bestätigte Sándor-Bácsi. „Auch wenn sie recht sicher im Sattel sitzen, sind sie doch oft nicht gewöhnt, vier, fünf Stunden und länger zu reiten. Deshalb machen wir neuerdings am ersten Tag Proberitte. Danach können wir die Leistung der einzelnen Reiter einigermaßen abschätzen.“
„Und morgen ist so ein Probetag? Wir sind dabei!“ beteuerte Simon.
Márika-Néni hob abwehrend die Hände.
„Nein, nein, Kinder, morgen solltet ihr wirklich erst einmal ausschlafen und euch in Ruhe umsehen.“
„Aber ich möchte gern mitreiten!“ bat Bille. „Ich sehne mich danach, endlich wieder im Sattel zu sitzen! Drei Tage bin ich schon nicht geritten, ich glaube, ich habe ernste Entzugserscheinungen! Bitte, Sándor-Bácsi, es würde mir so große Freude machen, mitzureiten!“
„Nun, ich schlage
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