Bille und Zottel 16 - Pusztaferien und Ponybriefe
euch einen Kompromiß vor“, sagte der Hausherr. „Wenn ihr morgen früh pünktlich um neun im Stall seid, reitet ihr mit und unterstützt unseren Lajos bei der Betreuung der Reitergäste. Wenn nicht, weiß ich, daß ihr doch lieber ausschlafen wolltet. Dann reite ich selber mit. Und jetzt werden wir euch in eure Unterkunft bringen, damit ihr ins Bett kommt. Bille hat schon ganz kleine Augen vor Müdigkeit. Übrigens: frühstücken könnt ihr unten im großen Speisesaal mit den anderen Gästen.“
Sie waren nicht erst um neun, sondern schon um sieben Uhr unten auf dem Hof. Sándor-Bácsi war nicht erstaunt, er hatte so etwas vermutet. Denn wer ein richtiger Reiter ist, den hält es nicht im Bett, wenn unten im Stall das erste Wiehern erklingt, wenn Tränkeimer klappern und Hufgetrappel von der Stallgasse heraufdringt. Einen kleinen Augenblick nur hatte Bille gezögert, hatte sich die Decke noch einmal bis über die Ohren gezogen und sich dem wohligen Gedanken hingegeben, wie schön es wäre, jetzt noch zwei Stunden liegenzubleiben. Aber dann wehte eine kräftige Brise Pferdegeruch um ihre Nase, ein Sonnenstrahl malte Kringel auf den Fußboden, und das Scharren und Schnauben, Prusten und Stampfen im Stall unter ihr zog sie magisch aus dem Bett. In Sekundenschnelle stand sie unter der Dusche und war wenig später fertig im Reitdreß bei den Stallhelfern unten. Simon folgte ihr kurz darauf.
Im Stall wußte man über die privaten Gäste des Direktors schon Bescheid. Auch, daß es sich bei den jungen Leuten um erfahrene Turnierreiter handelte. Und daß sie gleich am ersten Morgen schon zum Putzen im Stall erschienen, öffnete ihnen alle Herzen.
Lajos war ein schon älterer, erfahrener Reitlehrer und Bereiter, der nicht viel sprach und deshalb von denen, die ihn nicht kannten, für unzugänglich und brummig gehalten wurde. In Wahrheit hatte er ein eher zu weiches Herz und hing an den ihm anvertrauten Pferden mit unermüdlicher Fürsorge. Bille liebte er von dem Augenblick an, in dem sie den Stall betrat, das zuvor schnell auswendig gelernte „Guten Morgen“ auf ungarisch schmetterte -„Jó reggelt kivánok!“ - und die aufmüpfige Stute Ibolya aufhielt und zurückbrachte, die ihm gerade aus der Box entwischt war. Hätte er nicht schon zuvor von der jungen Turnierreiterin aus Deutschland gehört und nur den sanften, aber energischen Griff gesehen, mit dem sie die Stute zugleich an der Nase und an den obersten Mähnenhaaren griff, um sie liebevoll in die Box zu führen, es hätte ausgereicht, um zu erkennen, daß er in ihr eine Seelenverwandte gefunden hatte. Einen Menschen, dem es weniger um Siege und Erfolg, als um den Umgang, um das Leben mit Pferden ging. Und da Simon zu Bille gehörte, wurde er selbstverständlich in diese Zuneigung mit einbezogen.
„Darf ich mich vorstellen? Ich bin Bille.“
„Lajos.“
Lajos ergriff ihre Hand und schüttelte sie lange. Wenn er lachte, durchzogen winzige Fältchen sein wettergebräuntes Gesicht wie die Straßen auf einer Landkarte.
„Wen soll ich putzen?“ fragte Bille unumwunden, eine Frage, die Lajos offensichtlich nicht erwartet hatte.
Bille legte sein Schweigen falsch aus. „Oh, verstehen Sie überhaupt Deutsch? Ich meine, putzen, hier, Bürste, Striegel“, sie zeigte auf die Geräte in der Hand eines jungen Stallhelfers, der aus einer Box auftauchte und sie mit offenem Mund anstarrte.
Lajos lachte. „Natürlich verstehe ich Deutsch. Bei den vielen deutschen Reitergästen! Aber das Putzen . . .“
„. . . das läßt du für heute sein“, vollendete Sándor den Satz. „Man muß den Eifer ja nicht gleich übertreiben. Jetzt will ich euch erst mal die Stallungen zeigen und mit allen bekanntmachen. Und dann wird gefrühstückt vor dem langen Ritt.“
„Einverstanden.“
Sie verließen den Reitpferdestall und traten auf den sonnenüberfluteten Hof hinaus. Die Gebäude waren U-förmig aneinandergebaut. Den Mittelpunkt des Platzes bildete der große alte Ziehbrunnen, an den sich eine lange Steintränke anschloß, die von einer riesigen Eiche beschattet wurde. Es sah aus, als neige sich der knorrige Baum bewußt über das Wasser, um ihm Schatten zu geben.
Sándor Sisak führte seine jungen Gäste durch die jetzt leerstehenden Stallungen, in denen im Winter die Pferde- und Rinderherden Platz fanden. Die Schweine genossen in kleinen Außengehegen hinter ihrem Stall die kräftigen Strahlen der Frühlingssonne. Eine Gänseherde lief laut schnatternd zum Teich
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