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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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ist wahr außer der Liebe –
    doch wie soll man lieben, wenn die Einsamkeit das Los aller ist?
    Ich bin zur Liebe verurteilt, nicht aus Tugend, sondern weil alles andere mir entrissen wurde: Ehrgeiz, Wünsche, Absichten, Träume.
    Nichts zählt als die Liebe – ich bin ganz erfüllt davon, aber sie wird mir zur Last! Ich weiß nicht, wie ich sie einsetzen soll, wie sie tei-281

    len, wie sie vervielfachen. Ich werde wohl erst wieder lieben können, wenn ich auch hassen kann. In dem schwarzen Loch, in dem ich lebte, blieb gleichermaßen der Bodensatz zurück wie das Beste.
    Um wieder die Freiheit der Entscheidung gewinnen zu können, muss ich wohl erst wieder die Fähigkeit zum Abscheu, zum Aufbegehren und zum Hass erlangen.«
    Immer wieder einmal hatte Kiersten ihre Lektüre unterbrechen müssen, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen – insbesondere nach jeder Erwähnung dieses Oberst Sheba. Dann nahm sie die Ge-räusche der Straße und des Hotels wahr, die gedämpft hereindran-gen.
    Gegen acht Uhr war sie bei der letzten Zeile angelangt.
    Dabei hatte sie schon jetzt das Verlangen, bestimmte Passagen ein zweites Mal zu lesen oder sie für eine spätere Lektüre abzuschrei-ben. Solche etwa, wo Laurence auf ihre besonderen Empfindungen als Frau einging: »Eine Lebensgier, die immer wieder gebrochen und dann neu geboren wird und doch niemals zu befreien vermag.«
    An anderer Stelle: »Dieser beharrliche, leidenschaftliche Drang meiner Lenden, meines Mundes, sich einem anderen zu öffnen; und diese Angst, dabei vernichtet zu werden, die mein ganzes Inneres er-füllt. Mein Fleisch, mein Körper sind mein Gefängnis. Darin eingesperrt, klopfe ich an die Tür – doch draußen ist niemand, der mir öffnen könnte.«
    »Das habe ich ähnlich auch schon erlebt«, dachte Kiersten. »Aber warum kann ich das nicht ausdrücken wie sie?« Sie glaubte zu-nächst, Laurence zu beneiden um ihre Fähigkeit, so zu schreiben.
    Doch dann erkannte sie, dass es in Wahrheit deren Offenheit war, um die sie sie beneidete. Diese Erkenntnis führte zu einer Reaktion, der gegenüber sie machtlos war: Sie begann zu weinen, wahre Trä-
    nenbäche lösten sich wie von selbst. So hatte sie nicht mehr ge-282

    weint seit dem Tag, als sie nach ihrer Krebsuntersuchung aus dem Krankenhaus gekommen war. Aber die damaligen Tränen der Auflehnung und des Zorns waren nicht zu vergleichen mit denen, die sie an diesem Morgen vergoss.
    Durch die zusammengerafften Vorhänge stahl sich ein Sonnenstrahl ins Zimmer.
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    16. KAPITEL
    ie stürzte unter der Dusche hervor und griff tropfnass nach dem SHörer des schrillenden Telefons.
    Diese verhaltene, wie atemlos wirkende Stimme … Ja, es war Laurence. Sie habe während der Nacht nachgedacht, sagte sie, und soeben habe ihr außerdem Fjodor Gregorowitsch geholfen, Ordnung in ihre Erinnerungen zu bringen. Und sie frage sich nun, ob nicht Jean-Louis Becker doch etwas mit dem Verschwinden der kleinen Gabriella zu tun haben könnte. Es sei zwar schrecklich, einen so schweren Verdacht ohne greifbaren Beweis zu äußern, aber sie …
    »Ein Verdacht ist ja noch keine Anklage«, beruhigte sie Kiersten.
    »Nun, da bin ich nicht so sicher. Aber wie auch immer – ich möchte Ihnen unbedingt dabei helfen, Gabriella zu finden. Aber Sie haben mir wohl nicht alles gesagt?«
    »Das ist richtig. Aber das lässt sich nicht am Telefon erledigen.«
    Sie machten einen Termin für ein Treffen aus, und vor dem Auf-legen sagte Laurence noch bedrückt, sie würde es sich nie verzeihen, wenn der Kleinen …
    »Sie brauchen sich da keine Vorwürfe zu machen …«
    »So einfach ist das nicht! Ich muss blind gewesen sein. Und gerade mir hätte das nicht passieren dürfen!«
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    Ins Bad zurückgekehrt, blieb Kiersten nackt vor dem großen Spiegel stehen. Ihr Herz klopfte so heftig wie kaum je zuvor. Was hatte das zu bedeuten? Das hatte sie sehr lange nicht mehr erlebt. Das letzte Mal war es wohl gewesen, als sie vor der Disziplinarkommis-sion der GRC gegen drei Polizeioffiziere, ihre Kollegen, in der Af-färe Crawford ausgesagt hatte … Nein, das stimmte nicht: Das allerletzte Mal war das geschehen an jenem Abend, als sie in Rockliffe ihrem Vater gegenübersaß, um ihn auszufragen wegen dieses Katalogs, den man Senator Murdstone geschickt hatte … »Das wird wohl davon kommen«, sagte sie sich und legte eine Hand flach zwischen ihre Brüste, »dass ich mir Vorwürfe mache, das Tagebuch von Laurence gelesen zu haben.« Sie

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