Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
genauen Zeitangaben forderten ihr hohe Konzentration ab, und in ihrer Situation war sie dafür geradezu dankbar.
Sie beendete ihren Bericht mit der Mitteilung, dass man die Spur von Mona-Lisa Peres und Sandrine dank der sorgfältigen Überwachung der Grenzen habe aufnehmen können. In Dorval hätten sie für einen Flug der Alitalia nach Rom eingecheckt.
In Fiumicino sei die Polizei sofort an Bord der soeben gelandeten Maschine gegangen. Auf den beiden gebuchten Plätzen seien zwei junge Damen gesessen, deren Pässe auf Bianca Mercado und Josette Legault gelautet hätten. Diese Namen hätte die Passagierliste jedoch 349
nicht enthalten. Man hatte die beiden also festgehalten und verhört. Sie hätten sich dumm gestellt, offenbar um Zeit zu gewinnen.
Inzwischen war es in Rom fast Mittag, und man hatte sechs wert-volle Stunden mit einer falschen Spur verloren…
Neue Überprüfungen also in Dorval; sie ergaben, dass zwei Passagiere mit den genannten Namen mit einer KLM-Maschine nach Amsterdam geflogen seien. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten sie ihren Flug von dort aus nach Valletta fortgesetzt, obwohl die Air Esperanza – eine kleine Luftlinie, die Anrainerstaaten des Mittelmeers bediente – jede Bestätigung dieser Annahme verweigerte.
Ein Mitarbeiter von Kiersten (Thierry, der die ganze Nacht über kein Auge zugemacht hatte) hatte die beiden Namen in einem bei Yan Tung gefundenen Adressenverzeichnis aufgespürt. Beide seien langjährige, ergebene Mirandisten. Und die Speicherkarten zum elektronischen Notizbuch von Kemal hatten erwiesen, dass die Air Esperanza ein Tochterunternehmen des Ferienveranstalters Soledad Tours sei, der von der Universellen Vereinigungskirche finanziert werde.
»Lydia? Sind Sie noch dran?«
»Ja, ja! Ich schreibe alles mit.«
»Nun, Sie werden sich ja den Trick schon vorstellen können: In Dorval hat die Peres die Bordkarten mit diesen beiden Damen getauscht und wird Sandrine wahrscheinlich irgendwas vorgeschwin-delt haben von einer früheren Ankunft in Malta oder dergleichen.
Wenn ich ins nächste Flugzeug nach Rom gesprungen wäre, hätte ich sie dort vielleicht noch erwischen können.«
»Nein, das wäre nicht gut gewesen. Sie müssen unbedingt in Paris bleiben. Die Leute von der Vereinigungskirche werden sich mit Ihnen in Verbindung setzen.«
»Laurence meint das auch.«
»Laurence? Sie haben Sie also noch mal getroffen?«
»Sie ist sogar gerade hier, und ich bin so froh darüber! Dies-350
bezüglich wollte ich Sie bitten …«
»Lassen Sie das erst mal, ich kann es mir denken …«, meinte Lydia, sich räuspernd. (Sie schien tatsächlich bewegt.) »Der gute Ken fährt mich mit Blaulicht nach Heathrow, ich bin umgehend in Paris und melde mich dann sofort. Kennen Sie eigentlich meinen Spitznamen bei Casus Belli? Wonder Woman! Ich habe übrigens eine gute Nachricht!«
»Spannen Sie mich nicht auf die Folter!«
»Ihre Tochter ist in Malta, gesund und wohlbehalten!«
»Und das soll eine gute Nachricht sein?«
»Ja, und ich erkläre Ihnen das gleich nach meiner Ankunft. Das ist nichts fürs Telefon!«
Laurence hatte die Krise kommen sehen und die kanadische Botschaft ohne nähere Erklärung kurz verlassen. (Sie hatte eine nahe Apotheke aufgesucht.) Bei ihrer Rückkehr fand sie Kiersten völlig aufgelöst im Büro von Le Bouyonnec, um Atem ringend und an allen Gliedern zitternd. Sie reichte ihr zwei rote Pillen und ein Glas Wasser.
»Was … was ist das?«
»Genau das, was Sie jetzt brauchen.«
»Doch keine … Beruhigungsmittel? Nein, bloß das nicht!«
»Kommen Sie! Sandrine benötigt jetzt eine Mutter, die in Form ist!«
Lydia hatte es richtig vorhergesehen: Gegen drei Uhr nachmittags meldete sich Jean-Louis Becker telefonisch im Büro von Inspektor MacMillan in Ottawa. Man schaltete sofort ein Tonband zum Mitschnitt ein und schaltete die Botschaft in Paris zum Mithören zu.
El Guías rechte Hand spielte nicht den Dummen, sondern sagte 351
ohne jedes Herumreden, er wisse wohl, dass Kiersten hier in der französischen Hauptstadt sei, aber nicht, wo er sie erreichen könne.
Denn ›zufällig‹ sei er gerade auch hier… Ironisch meinte er, es sei wohl etwas schwierig, sich ohne Umschweife zu verständigen, wenn die Verbindung über einen Umweg von zwölftausend Kilometern laufe …
Er schlug ein Treffen vor. »Unter vier Augen – das dürfte wohl klar sein, ja?«, präzisierte er, und seine Stimme hatte jede Verbind-lichkeit verloren.
Loïc Le
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