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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Bouyonnec zeigte sich der Situation absolut gewachsen
    – effizient und diskret. Seine wortkarge Art war weitgehend Fassade. Er hatte an diesem Morgen die richtigen Worte gefunden, um Kiersten spüren zu lassen, dass er in dieser Prüfung an ihrer Seite stand.
    Le Bouyonnec unterhielt gute Verbindungen zur französischen Kriminalpolizei. Der stellvertretende Kommissar Le Kerroch dort war beinahe ein Freund von ihm, das durfte er guten Gewissens behaupten. Im vergangenen Jahr hatten sie gemeinsam an einem Jagd-und Angelausflug in Neufundland teilgenommen – ohne ihre Frauen. Beide waren gebürtige Bretonen.
    Überdies ging es hier um eine Angelegenheit, bei der von vornherein Solidarität unter den Polizeikräften angezeigt war. Man war gemeinsam betroffen, die Sache ging jeden an. Protokoll- und Kom-petenzfragen rückten hier in den Hintergrund – für diesmal zumindest. Kurz, die französische Polizei hatte den kanadischen Kollegen ihre volle Unterstützung zugesagt. Kiersten konnte unbesorgt zu dem vereinbarten Treffen gehen; die Überwachung war organisiert.
    Beim Verlassen der Botschaft bat Kiersten Le Bouyonnec noch darum, Lydia Frescobaldi zu empfangen und sie über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Sie hätte es vorgezogen, Laurence 352

    damit zu betrauen, aber diese hatte es abgelehnt, ohne sie hier in der Avenue Montaigne zu bleiben.
    »Ich muss etwas herumlaufen«, hatte sie versichert. »Außerdem gibt es in der Rue Saint-Victor eine kleine orthodoxe Kirche. Machen Sie sich bitte nicht lustig darüber!«
    »Auf gar keinen Fall! Außerdem könnte mir bei dem, was gerade abläuft, ein kleiner göttlicher Eingriff gewiss nicht schaden! Fast beneide ich sie darum, dass Sie gläubig sind.«
    »Gläubig? Nun … eigentlich nicht. Oder sagen wir mal, dass ich das etwas anders sehe. Ich habe einfach dem lieben Gott ein paar Dinge zu sagen, auch was Sie betrifft.«
    »Ach ja?«, meinte Kiersten verlegen. »Was denn zum Beispiel?«
    »Das ist nicht so einfach zu erklären. Sagen wir mal, Dinge, die er vielleicht nicht weiß. Und andere, die er vielleicht vergessen hat.«
    Das Restaurant ›L'Heure gourmande‹ befand sich in der Passage Dauphiné. Es war ein ruhiger, irgendwie zeitlos wirkender Ort, der zum Verweilen einlud. Das Restaurant selbst, das gemütlich aussah, schien genau in diese Umgebung zu gehören, und man konnte sich beides getrennt voneinander nur schwer vorstellen. Sicher kam vorwiegend Stammkundschaft hierher, und nur vereinzelt Touristen mit einer gewissen Neugier. Kiersten hatte anderes erwartet und zö-
    gerte etwas.
    Sollte das Haus tatsächlich überwacht werden? Sie konnte keinerlei Anzeichen dafür erkennen, entdeckte weder irgendwelche ver-kleideten Maler noch offenkundige Zufallsbesucher. Entweder war das wirklich sehr gute Arbeit, oder … Und schon beschlichen sie angstvolle Zweifel: Wenn nun Kommissar Le Kerroch noch in letzter Minute durch Verwaltungsschikanen gebremst worden war?
    Oder wenn er ganz einfach seine Zusage nicht eingehalten hätte?
    Sie trat ein.
    353

    ›L'Heure gourmande‹ – ›Zur Schlemmerstunde‹? Es war ein Restaurant mit einer zwar einfallsreichen, aber begrenzten Speisekarte, und zugleich eine Art Café mit einer reichen Auswahl an Süßspeisen und Gebäck. Das Lokal war etwa zur Hälfte besetzt, vorwiegend mit Damen mittleren und fortgeschrittenen Alters. Hie und da lasen ein paar einsame Gäste, unbeeindruckt von den Unterhaltun-gen ringsum, aufmerksam ihre Zeitung.
    Im Hintergrund erhob sich einer der Anwesenden, und sie schritt mit pochendem Herzen auf ihn zu. Er verneigte sich mit der gemessenen Höflichkeit einer entschwundenen Zeit, reichte ihr jedoch nicht die Hand. Ahnte er, dass es ihr unmöglich war, ihn auch nur zu berühren? Er war ein gut aussehender Mann, hoch gewachsen, mit einem asketischen Gesicht und schmalen, gepflegten Händen. »Wie konnte sich Laurence nur mit einer solchen Kanaille einlassen?«, hatte sie sich während der Nacht gefragt, nachdem sie erfahren hatte, was in Maghrabi geschehen war. Nun musste sie sich einräumen, dass die beiden zumindest äußerlich ein schönes Paar abgegeben hätten. Er wartete, bis sie Platz genommen hatte, ehe er sich selbst wieder setzte.
    »Ich bin Jean-Louis Becker. Bitte entschuldigen Sie den Mangel an guter Erziehung. Aber ich war früh dran und habe mir erlaubt …«
    Vor ihm stand bereits ein Teller mit einem Hacksteak und Kartof-felgratin. Er erläuterte dazu, dass er den ganzen

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