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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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gedacht«, entgegnete Laurence und stürzte davon.
    Jean-Louis war vom Sofa geglitten und lag mit gespreizten Beinen völlig aufgelöst flach auf dem Boden. Er hatte kaum noch die Kraft, unentwegt den Kopf zu schütteln und in leierndem Ton immer wieder ein »Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!« hervorzustoßen. Keine Klagen, kein Flehen, keine Schreie – dennoch war es in erschreckender Gewissheit unübersehbar, dass er ein Martyrium durchlitt. Ein Speichelfaden rann ihm von den zitternden Lippen. Seine Pupillen waren unnatürlich erweitert, wie unter dem Einfluss einer starken Droge; es wirkte, als hätten dadurch seine Augen die Farbe von hel-lem Blau zu tiefem Schwarz gewechselt. Welche Bilder standen vor ihnen, um sie mit solcher Bestürzung, solch unsäglichem Entsetzen zu füllen?
    »Ich weiß nicht, wie mir geschieht«, sagte Kiersten mit erstickter Stimme. »Aber ich habe fast Mitleid mit ihm.«
    »Er war ein Gefangener des Bösen«, murmelte Laurence. »Aber er hat immer den Schlüssel zu seiner Zelle bei sich gehabt.«
    Ohne weiter auf den erstaunten Blick ihrer Freundin zu achten, wandte sie sich um: »Fjodor?«
    Der Psychiater war in seinem Sessel zusammengesunken und hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Warum antwortete er nicht? Als sie sich über ihn beugte und seinen Namen wiederholte, fuhr er hoch. Er umklammerte die Armlehnen mit den Händen und erhob sich mit äußerster Anstrengung; er wirkte völlig abwesend. Dann tat er zwei Schritte auf Kummerseele zu, der am Ofen schlief, die Schnauze auf die Pfoten gelegt. Plötzlich stieß Fjodor Gregorowitsch Syssojew ein kurzes Stöhnen aus und brach besin-nungslos zusammen.
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    22. KAPITEL
    er renovierte Teil des Johanniterklosters auf dem Gipfel der DAnhöhe; die niedriger gelegenen neueren Unterkunftsbauten; die Parabolantennen des Kommunikationszentrums; die umgewan-delte Kapelle und die blumenbestandene Terrasse mit ihrer Steinbalustrade, von der aus der Blick über die sanften Hügel bis nach Xaghra schweifte: Nichts von alledem war Thierry fremd. Während der Reise von Paris hierher hatte er sich zahlreiche Fotos vom Heiligtum eingeprägt und sich dabei detailgetreu die Erläuterungen ins Gedächtnis gerufen, die Lydia Frescobaldi und Laurence Descombes dazu abgegeben hatten.
    Vor allem Lydia; das war schon eine Nummer für sich!
    »Wenn ich daran denke, dass ich mir das als ein streng geschlossenes Refugium vorgestellt hatte!«, sagte er zu der Mirandistin, die ihn begleitete.
    Er schaute sich um und spielte den Überraschten. Ringsum tum-melte sich eine bunt gemischte Menschenmenge: Zeugen in Jeans und T-Shirts; Novizen in ihren blassgelben langen Gewändern; Jünger und Jüngerinnen in weißen Tuniken; die Geweihten schließlich, beunruhigend in ihrem Nachtblau – eine geschlossene Kaste abseits der anderen. Sie würden nicht älter werden als siebenunddreißig: 407

    Jeder von ihnen hatte sich verpflichtet, bis dahin an einem von ihm selbst bestimmten Tag die Schwelle der Astralen Verklärung zu übertreten.
    (Drei Tage vorher noch hatte Thierry geglaubt, Lydia übertreibe wohl etwas, als sie ihm vom Schwarzen Orden berichtete. Sie hatte ihm den Film vom Ende Flavio Bugliones gezeigt. Diese Bilder hatten in ihm eine große Wunde gerissen – eine Wunde, die inzwischen eiterte …)
    »Würden Sie das bitte wiederholen? Ich war leider für einen Augenblick abgelenkt…«
    Jasmine erläuterte ihm, dass der Zustrom der Anhänger eben erst beginne; seinen Höhepunkt würde er voraussichtlich in fünf Tagen erreichen. Dann sei mit gut tausend Gläubigen zu rechnen, die hier im Mutterhaus der Vereinigungskirche versammelt wären, um die Große Kommunion mit dem Universalgeist zu feiern.
    Für sie persönlich wäre dieses Ereignis ein Anlass zum Stolz und eine Quelle des Trostes. Warum sprach sie dann so trocken davon und mit einer Miene, als müsse sie jedes ihrer Worte bedauern, nachdem sie es erst einmal ausgesprochen hatte, als ob man es ihr durch einen zweifelhaften Kunstgriff entrissen hätte? Trotzdem machte sie ein weiteres vertrauliches Geständnis: Anlässlich der Großen Versammlung hatten sich aufgrund einer Sondererlaubnis El Guías alle Mirandistischen Anhänger die Augenbrauen entfernen lassen, selbst die absoluten Neulinge, die noch nicht einmal die erste Schwelle überschritten hätten …
    »Das Ergebnis ist sehr beeindruckend«, versicherte er und hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.
    »Nichts macht blinder als das,

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