Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
klarer sehen …«
Der falsche Delanoy erweckte den Anschein, als zögere er. Er wusste wahrscheinlich über Miguel D'Altamiranda mehr als alle Mirandisten hier im Heiligtum und vielleicht mehr als selbst Argos.
Laurence und Lydia hatten ihm von der geheimnisvollen Ausstrahlung des Patriarchen berichtet, vom unwiderstehlichen Magnetis-mus dieser dunklen Augen, in denen sich ›alles Leid dieser Welt spiegele‹. Trotz dieser Warnungen spürte er jetzt, dass er sich innerlich wappnen müsse gegen diesen schweigenden Appell an seine Empfindungen.
»Ich glaube, dass Feuer unter dem Dach ist zwischen Jean-Louis und seinem Vater. Es hat da einen Skandal gegeben wegen eines Videospiels, und Harmonices Mundi ist da mehr oder weniger hineingezogen worden. Ich kenne die Details nicht, und offen gestan-413
den…«
Argos näherte sich etwas und wies mit dem Finger auf einen Absatz des handgeschriebenen Briefes hin. Sein Meister nickte zustim-mend und sagte:
»Jean-Louis empfiehlt uns hier größte Vorsicht bei der Nutzung unseres Kommunikationsnetzes. Wenn ich es recht verstehe, hat er Sie in diesem Zusammenhang hierher geschickt, damit Sie sich um ein angebliches Sicherheitsproblem kümmern.«
»Von ›angeblich‹ kann gar keine Rede sein! Wenn Sie mir den Ausdruck gestatten, ist Ihr Sicherungssystem löchrig wie ein Sieb!«
»Er wollte am Telefon auf keine Einzelheiten eingehen, obwohl wir über eine verschlüsselte Leitung sprachen.«
»Vielleicht wollte er Ihnen damit klar machen, dass diese Leitung so ›gesichert‹ keineswegs ist, wie Sie glauben. Es scheint aber, dass Sie seine Warnung nicht sehr ernst nehmen!«
»Unser System wurde erst in den letzten Tagen wieder vollständig überprüft. Es ist absolut dicht. Wir wissen die Besorgnis des Ersten Ratgebers durchaus zu schätzen, aber unter den gegebenen Um-ständen scheinen mir Ihre Dienste entbehrlich.«
»Wollen Sie mir damit sagen, dass ich ganz umsonst hierher gekommen bin?«
»Aber keineswegs! Sie sind unser Gast und können an der Großen Versammlung teilnehmen. Das ist ein großes Privileg, das unsere Vereinigungskirche über zwölftausend Bewerbern versagen musste!«
»Ich danke Ihnen. Trotzdem, ich sagte es bereits Jasmine …«, setzte Thierry an und wandte den Blick zum Eingang. Er musste allerdings feststellen, dass die Jüngerin verschwunden war. »Religiöse Zeremonien interessieren mich nicht, tut mir Leid. Aber gestatten Sie mir einen Rat: Wenn Ihnen jemand versichert, ein Datenschutz-system sei ›unüberwindlich‹, sollten Sie ihn vor die Tür setzen.
Denn er ist entweder inkompetent, oder er macht sich lustig über Sie.«
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Ein Schatten des Ärgers zog über El Guías gelassenes Gesicht. Er wandte es erneut nach rechts, erhielt jedoch von dort ein Zeichen, er brauche sich nicht zu beunruhigen. Thierry musste seine Gereizt-heit nicht vortäuschen; er hatte jetzt genug davon, hier in dieser Kapelle herumzustehen und nicht zu wissen, was er mit seinen Händen tun solle. Natürlich hatte man den Ort und die Inszenierung geschickt gewählt, um den Besucher unsicher und angreifbar zu machen. Aber er rief sich John F. Kennedys Maxime ins Ge-dächtnis, die er zu seiner eigenen gemacht hatte: »Lass dich nicht verrückt machen, sorg lieber für den Ausgleich!«
»Gestern Abend haben Sie eine E-Mail an einen gewissen Trocchia in Neapel geschickt«, sagte er. »Und eine zweite an Len Good-fellow in Manchester. Fragen Sie mich bitte nicht nach dem Inhalt: Dechiffrieren konnte ich sie noch nicht.«
D'Altamiranda schloss die Augen und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch seine weiße Mähne. Wollte er wirklich nur die Haare glätten mit dieser Bewegung?
Im Hintergrund ballte Argos die Fäuste. Sein unerschrockenes Gesicht schien plötzlich wie das eines japanischen No-Schauspielers von einer weißen Gipsschicht bedeckt.
»Jean-Louis sagte mir, er würde in dem Brief auch eine Bemerkung wegen des Arrangements machen«, fügte Thierry nun hinzu.
»Des Arrangements?«, fragte El Guía, wie aus einer Meditation erwachend.
»Des finanziellen, ja… Ich habe ihm einen Freundschaftspreis gemacht. Aber da es Ihre Organisation ist, die zahlen soll, schien es mir doch besser, das von vornherein festzulegen …«
Der Patriarch seufzte tief und brummelte dann, finanzielle Dinge würden … Dann machte er eine vage Geste zum vorderen Teil der Kapelle, um damit anzudeuten, dass derartig triviale Dinge die Sache von Jasmine seien. Die war in
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