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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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ihrem weißen Gewand tatsächlich dort wie ein Geist wieder erschienen. Sie stand reglos da, mit 415

    unbeweglichem Gesicht, und schien auf seine Weisungen zu warten.
    Während seines kurzen Aufenthalts in Frankreich war Thierry auch nach Maisons-Laffitte gefahren, begleitet von Kiersten und Le Bouyonnec. Er hatte dort den berühmten Jean-Louis getroffen, dem man zum Aufenthalt ein kleines Landhaus aus der Jahrhundertwen-de zugewiesen hatte, das Vater Antoine von seinem Vorfahr Alfred Becker geerbt hatte, dem französischen Nobelpreisträger in Physik.
    Eine stämmige Krankenschwester und ein junger Mitarbeiter Le Kerrochs waren zur Betreuung des Mannes abgestellt, der einmal die graue Eminenz der Universellen Vereinigungskirche gewesen war und die gefürchtete rechte Hand Miguel D'Altamirandas. Ein Schatten seiner selbst, verbrachte er die meisten seiner klaren Stunden damit, entweder die Linden draußen im Garten zu betrachten oder den Kopf in den Händen zu vergraben, in einem Sessel vor einem der Fenster des Wohnraums sitzend. Er bewegte sich mit unsicheren Schritten und zumeist nur, um in das Badezimmer zu gehen und dort Galle und Blut von sich zu geben. Man ernährte ihn mit Fleischbrühe, in Tee getauchten Keksen und Vitaminsäften. Schlank gewesen war er ja schon, als er zu Fjodor Gregorowitsch gekommen war. Inzwischen aber hatte er innerhalb von vier Tagen weitere sieben Kilo abgenommen.
    Er hatte ihre Fragen mit fieberhafter Beredsamkeit beantwortet und mit einer geradezu zwanghaften Präzision, als fürchte er, nicht ausreichend verstanden zu werden. Den Brief an El Guía hatte er zwar nach Diktat geschrieben, aber von sich aus Änderungen vorgeschlagen, um ihn überzeugender wirken zu lassen. Er hatte dann den künftigen Michel Delanoy mit Ratschlägen und Warnungen überschüttet und ihn angefleht, alles – wirklich alles, und sei es selbst das Schlimmste! – zu tun, um den Erfolg seiner Mission 416

    sicherzustellen und »den Unschuldigen dort das Unsagbare zu ersparen«. (Das hatte er fünf- bis sechsmal wiederholt.) Er hatte schließlich seine Besucher bis ans Gartentor begleitet, weil ihm immer wieder neue Details und Informationen eingefallen waren, die er für nützlich hielt und die ihm wichtig schienen.
    Seine kaum zu bremsende Mitteilsamkeit befremdete Thierry be-trächtlich. Dass man ihn zu einem Seitenwechsel hatte bringen können, verstand er ja gerade noch. Was ihn zumindest mit Unbehagen und Unsicherheit, wenn nicht mit Ungläubigkeit erfüllte, war jedoch das Ausmaß dieser Verwandlung. Er hatte darüber mit Kiersten gesprochen, und sie hatte ihm daraufhin von dem berichtet, was bei Fjodor Gregorowitsch abgelaufen war. Hin und wieder hatte sie dabei innegehalten und den Kopf geschüttelt, als könne sie selbst nicht glauben, was sie da erlebt hatte.
    Hier im Heiligtum von Xaghra hatte jetzt Thierrys Unruhe einer dumpfen Angst Platz gemacht. Was nun, wenn dieser Becker erneut seine Meinung geändert hätte – konnte man denn davor sicher sein?
    Sein psychischer Zusammenbruch bedeutete ja nicht die Einbuße seiner Intelligenz, und die war stark ausgeprägt. Falls er vorhätte, seine Bewacher zu überlisten, würde ihm dies wohl mühelos gelingen. Dieser russische Psychiater hatte zwar von einer ›irreversiblen‹
    Deprogrammierung gesprochen, aber wie konnte er deren sicher sein? Hatte er denn jemals vorher eine solche Behandlung durch-geführt?
    Fjodor Gregorowitsch konnte diese Frage nicht beantworten. Er war noch immer nicht aus seiner tiefen Bewusstlosigkeit erwacht, und die Ärzte des Louis-Pasteur-Krankenhauses ›wollten mit ihrer Diagnose zurückhaltend sein‹. Frau Dr. Descombes hatte diese Formulierung dahingehend übersetzt, dass auch ihre werten Kollegen sich keinen Reim darauf zu machen wussten.
    Von Paris aus war Thierry in einem Privatjet nach Rom geflogen, begleitet von Lydia Frescobaldi. Alsbald hatte er einen Block her-417

    vorgezogen, um sich Notizen zu machen, zu deren Vernichtung vor der Ankunft in Mgarr er sich allerdings verpflichten musste …
    Gewöhnlich konnte er sich auf sein Gedächtnis sehr gut verlassen.
    Aber er musste sich eingestehen, dass im Augenblick seine Konzen-trationsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so auf Anhieb und so vollständig von einer Frau fasziniert worden zu sein. Ihr selbst schien das durchaus nicht verborgen geblieben zu sein: gegen Ende des Fluges war ihr Wölfin-nenblick glitzernder

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