Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
ihm allerdings nur über Pondichéry möglich, und er musste diesem jede Abfrage und jede Kopie begründen. Er regte sich da-rüber nicht auf, im Gegenteil: Es konnte nicht schaden, bei all diesen Gelegenheiten eine gewisse Beziehung zu seinem Mirandistischen ›Kollegen‹ aufzubauen.
Schon bald nach seiner Ankunft im Heiligtum hatte er festgestellt, dass die Geweihten jeden persönlichen Kontakt zu vermeiden suchten, nicht nur zu Besuchern und Angehörigen ›unterer Kasten‹, sondern selbst untereinander, wie es schien. Dieser erste Eindruck hatte sich noch verstärkt seit seinem Einzug in dieses ›eigene Büro‹, dessen ›persönlicher‹ Charakter ihm alsbald höchst relativ erschien
… Es hatte ein Fenster aus Sicherheitsglas, durch das kaum Licht drang und das sich nicht öffnen ließ, und die drei Innenwände bestanden vom Boden bis zur Decke aus Glas. Man konnte also jede seiner Bewegungen beobachten. Und tatsächlich fühlte er auch, sobald er nur den Kopf wandte, Blicke auf seinen Nacken gerichtet, die noch im Augenblick vorher dem seinen nachdrücklich ausgewi-chen waren. »Gleichgültig bin ich ihnen also keineswegs – zu schade!«
Er hatte für seinen Besuch in Xaghra ein Notebook mitgebracht, das fast so leistungsfähig war wie der Computer, den man ihm zur Verfügung stellte. Er benutzte es für alle Schritte, die er geheim hal-423
ten wollte – für den Fall, dass man in den stationären Computer ein Überwachungsmodem eingebaut hätte. Vielleicht bestand diese Gefahr gar nicht, aber es bereitete ihm jedenfalls ein spielerisches Vergnügen, seine Vorsichtsmaßnahmen zu verstärken. Es lag gewis-sermaßen der Versuch darin, auf seine Art den anderen Bedrohun-gen zu begegnen, die er nicht vorhersehen und die er auch nicht vermeiden konnte.
Es war acht Uhr morgens. Jasmine nahm in der Cafeteria an seinem Tisch Platz, nachdem sie mit einigen barschen Worten die drei ebenfalls dort sitzenden Novizen aufgefordert hatte, sich anderswohin zu setzen. Sie begann, ihn in leichtem Unterhaltungston auszu-horchen. Er ging auf das Spiel ein und teilte ihr mit gesenkter Stimme seine Zweifel an der Kompetenz des jungen Chefs der Compu-teranlage mit.
»Zu Argos habe ich natürlich nichts gesagt. Ich möchte doch niemanden in Schwierigkeiten bringen! Übrigens tut der junge Inder, was er kann. Er scheint mir lediglich völlig überfordert durch die derzeitige Situation.«
»Es war ein Fehler, nicht offen Ihre Meinung zu äußern! Für Heimlichtuerei ist kein Platz hier im Heiligtum. Ist nicht der Stolz die erste Schwäche, die man überwinden muss, wenn man sich auf den Weg des Heils begibt?«
Thierry dachte: »Und du, liebe Schwester, liebst du es nicht auch, im Dunkeln zu glänzen?« Aber sein Ziel hatte er jedenfalls erreicht: Er konnte sicher sein, dass seine Äußerung an der richtigen Stelle hinterbracht würde.
Ehe sie ihn verließ, wollte die junge Frau offenbar die Offenheit dokumentieren, die sie ihm predigte:
»Sie sollten Ihre Zunge etwas in Acht nehmen, ehe Sie zu jeder unpassenden Gelegenheit eine Bemerkung fallen lassen. Gewisse 424
Leute hier im Heiligtum schätzen weder Ihre Flapsigkeit noch Ihre Auffassung von Humor …«
»Lassen Sie mich raten … Die Schwarze Garde vielleicht?«
»Die Geweihten, meinen Sie wohl! Sehen Sie, wie Recht ich mit meiner Empfehlung habe! Niemand hier nennt sie so wie Sie gerade. Das ist eine bösartige Erfindung von Journalisten, die … Ach, lassen wir das! Argos duldet übrigens Ihre Anwesenheit nur, weil sie ihm vom Ersten Ratgeber, dem El Guía vorbehaltlos vertraut, auf-gezwungen wurde!«
»Wie interessant! Ich wusste gar nicht, dass es eine Rivalität zwischen den beiden Herren gibt. Abgesehen davon, täte Argos gut daran, mich in seine Gebete einzuschließen. Wenn ich nicht gekommen wäre, um mich um Ihr Computersystem zu kümmern, hätte Ihre große Zeremonie in einer Katastrophe geendet!«
Pondichéry kreuzte in Thierrys Büro am frühen Nachmittag auf. Es war das erste Mal, dass er von sich aus ein Gespräch eröffnete.
Das, was Thierry Jasmine anvertraut hatte, war wie erwartet sogleich höheren Orts berichtet worden.
Der Betroffene hielt ihm vor, ihn noch vor Argos in Schutz genommen zu haben, statt offen zu sagen, was er von ihm halte.
»Ich will keine Geschenke, schon gar nicht von einem ›Ungläubigen‹!«, fügte er hinzu. »Wenn du einen Fehler machst, werde ich das gnadenlos melden! Du bist gewarnt!«
»Vielen Dank! Aber mir
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