Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
geworden, ihr Lächeln ironischer, ihre Haltung autoritärer. Eine echte Raubkatze!
Kurz vor ihrer Trennung in Rom hatte sie ihm noch das Folgende anvertraut: Der von Casus Belli in das Heiligtum eingeschleuste Agent würde sich ihm nur im äußersten Notfall zu erkennen geben.
Er selbst müsse sich jeden Kontakts nach außen enthalten und sei dort völlig auf sich selbst gestellt. Sie ihrerseits könne nicht vor Ende der Woche nach Malta kommen. Und das werde inkognito geschehen, um den anderen Teil des Unternehmens zu einem guten Ende zu bringen – die Befreiung der beiden Mädchen.
»Ich kenne Sandrine nicht«, hatte er geantwortet. »Aber ich denke unaufhörlich an sie … Das lässt mich nicht los, kann ich denn da nichts beitragen …«
»Bloß nicht! Ihr Ziel muss dieser Guru sein, konzentrieren Sie sich auf ihn bis zur Besessenheit…«
»Werden wir uns wiedersehen?«
»Wer weiß? Hängt das denn von mir ab?«
»Aber sicher! Und auch von Inspektor MacMillan …«
Sie hatte sich rasch verabschiedet, nicht ohne ihm viel Glück für seine Aufgabe zu wünschen. Ihr Ton dabei machte deutlich, dass ihr deren Gefährlichkeit durchaus bewusst war. Weniger sicher war er sich, ob sie die Anspielung in Bezug auf Kiersten verstanden hat-418
te – schade …
Die Ausstattung des Kommunikationsgebäudes unterschied sich ganz erheblich von der der übrigen Bauten des Heiligtums. Dies hier war das Nervenzentrum einer modernen Organisation mit vielfältigen Aktivitäten und weltweiten Verbindungen.
Das Erdgeschoss war im Wesentlichen ein weitläufiges Großraum-büro ohne Zwischenwände. Etwa dreißig zumeist weibliche Novizen und Jünger widmeten sich in eindrucksvoller Schweigsamkeit den üblichen Sekretariats-, Buchhaltungs- und Verwaltungsaufgaben.
Im oberen Stockwerk waren die Informations- und Telekommuni-kationseinrichtungen untergebracht; der Eintritt hier war den Geweihten vorbehalten. Etwa ein Dutzend von ihnen arbeitete in durch verglaste Wände voneinander abgeteilten Büros an hochmodernen Terminals, Laserdruckern, hoch auflösenden Fotokopiergeräten und Scannern.
Bei seinem Eintreten in diese Räume wurde sich Thierry bewusst, dass er sich wider seinen Willen vom Anschein des einfachen und bescheidenen Lebens der Mirandisten und ihrer mönchischen De-mut hatte blenden lassen. Welche Illusion! Hier zeigte sich die Vereinigungskirche als das, was sie wirklich war: ein mächtiges, weit verzweigtes Unternehmen mit einem tadel os eingespielten Apparat.
Zu seiner Überraschung hatte Miguel D'Altamiranda ihn begleitet. Argos war ihnen vorangeschritten an diesen Ort, der sichtlich seine Hochburg und sein Hauptquartier war. Ihr Eintreten blieb nicht unbemerkt…
Allein schon das Eindringen eines unbekannten einfachen ›Zeugen‹ erregte Aufsehen. Aber der Besuch von El Guía höchstpersönlich war völlig ungewöhnlich: Die starren Gesichter zeigten sowohl Furcht als auch Ekstase. »Als ob Gottvater selbst ihnen erschienen sei«, dachte Thierry.
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Die drei schritten weiter ins Kontrollzentrum. Rechts standen die an die Bewachungskameras des Heiligtums angeschlossenen Moni-tore, links der massige Hauptrechner, dazwischen, provisorisch aufgebaut, die Ausrüstung für die Satellitenübertragung der demnächst auszustrahlenden Fünften Offenbarung.
Argos winkte einen seiner Männer heran – den anscheinend jüngsten von allen, wohl kaum älter als fünfundzwanzig und dem Aussehen nach vermutlich Inder oder Pakistani. Er stellte ihn als den Verantwortlichen für das gesamte Computersystem der Vereinigungskirche vor.
»Man behauptet, unser System sei durch einen Virus verseucht worden«, sagte er dann, und seine Stimme war ebenso ausdruckslos wie sein Gesicht. »Antworte auf Französisch!«
»Das ist falsch«, sagte der andere, ohne die Augen zu heben.
Thierry trat einen Schritt vor und streckte ihm, da man es nicht für angebracht gehalten hatte, ihn vorzustellen, die Hand hin.
»Ich bin Michel Delanoy! Und du?«
Die ausgestreckte Hand wurde übersehen, der Blick blieb auf den Boden gesenkt.
»Er hat auf seinen Namen verzichtet«, erläuterte Argos. »Sagen Sie einfach ›Geweihter‹ zu ihm.«
»Ach ja? Und wie soll ich zurechtkommen? Sie gleichen sich hier doch alle wie ein Ei dem anderen! Mit Ihrer gütigen Erlaubnis werde ich ihn Pondichéry nennen.«
Er zog eine Diskette aus der Tasche und trat auf das Eingabepult zu. Der Geweihte machte einen Schritt zur Seite, um ihm den Weg zu
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