Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Terrorismus‹. Lydia war die einzige Frau in der Gruppe, aber keiner der Eingeweih-ten zweifelte daran, dass man ihr die Leitung übertragen würde, wenn einmal die Zuckerkrankheit des alten Fuchses die Oberhand über dessen Kampfeslust gewinnen würde.
Lydia stocherte mit zweifelnder Miene im Rührei – war es kalt geworden im Laufe ihres Berichts? Nein, es ging noch. Sie goss sich Champagner nach, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass das Glas ihrer Besucherin noch gefüllt war. Wie es aussah, mussten sich die Italiener über die Kosten dieses Einsatzes nicht groß den Kopf zerbrechen.
»Basta!«, sagte sie dazu. »Für den Augenblick habe ich genug geredet. Und Sie hatten mir ja am Telefon auch überraschende Mitteilungen versprochen.«
Kiersten spielte mechanisch am Verschluss ihrer Aktenmappe herum, als ob sie damit andeuten wollte, dass hier alles drin sei, um ihre Versprechungen zu erfüllen.
Dann berichtete sie von Mona-Lisa Peres, dem ›Gesprächskreis‹
des Senators Murdstone, dem Trick zur automatischen Löschung der Snuffs und vom Besuch Farik Kemals in Ottawa. Lydia hörte ihr zu und widmete sich daneben hingebungsvoll den verschiede-251
nen Speisen, denen sie kräftig zusprach. Dann schleckte sie sich wie ein Leckermäulchen die Finger ab. Dennoch vermochten die aufgesetzten schlechten Manieren nicht über ihre tadellose Erziehung hinwegzutäuschen … »Sie interessiert sich mehr für das Essen als für das, was ich zu erzählen habe«, sagte sich Kiersten im Scherz. »Wie behält sie bei ihrem gesegneten Appetit nur ihre Mannequinfigur?«
Lydia hob die Augen und bemerkte mit etwas spitzer Ironie, dass das, was dem Türken zugestoßen sei, um so bedauerlicher sei, als Casus Belli schon lange auf eine Gelegenheit warte, einen Dealer dieses Formats in die Finger zu bekommen. Und sie fügte hinzu:
»Unsere Leute hätten ihn zum Sprechen bekommen, ohne dass er danach im Krankenhaus gelandet wäre …«
Kiersten wollte protestieren – sie hatte schließlich die offizielle Version der GRC wiedergegeben und nicht das Geringste verlauten lassen, was auf deren Verwicklung in den Überfall hindeutete. Sie ließ es dann aber, weil ihr Gegenüber ihr sichtlich doch nicht geglaubt hätte, und beschränkte sich auf die Schilderung dessen, was man an kompromittierenden Unterlagen bei Kemal gefunden hatte, vor allem das schwarze Notizbuch.
»Das Buch ist eine wahre Fundgrube! Wir haben gerade erst mit der Auswertung begonnen … Manche Eintragungen sind in Englisch, andere in Türkisch. Es ist nicht ganz einfach, damit zurecht-zukommen; wir mussten eine Übersetzerin dafür engagieren …«
Das Material hätte sie auf einige Spuren gebracht, die man verfolgen musste. Eine führte hierher nach Paris, und es ging dabei nicht um jemanden x-beliebigen, sondern um diese Frau Dr. Descombes, diese Ärztin, die man so lange als Geisel in Farghestan festgehalten hatte. Sicher hätten darüber doch auch in Italien die Medien berichtet, wie überall in Europa, oder etwa nicht?
Kiersten beobachtete mit Genugtuung, dass ein Stückchen Brot auf halbem Weg zwischen dem Teller und Lydias halb geöffnetem Mund verharrte. »Es beginnt sie wirklich zu interessieren«, dachte 252
sie. »Es wird auch endlich Zeit!«
»Ehe er nach Kanada kam, machte Farik Kemal Station in Paris«, fuhr sie fort. »Er besuchte hier den Sitz von Harmonices Mundi International, einer humanitären Organisation, und nahm dort einige Videokassetten entgegen – Snuffs mit allergrößter Wahrscheinlichkeit. Seine Kontaktperson dort war Laurence Descombes.«
»Weiß diese Frau Ihrer Meinung nach Bescheid?«
»Das ist schwer zu sagen … Nach unseren Ermittlungen hat sie sich kürzlich in Malta aufgehalten, in einer Art von Kloster in der Nähe von Xaghra …«
»Das Heiligtum der Universellen Vereinigungskirche …«
»Sie kennen das also! Das ist gut, da kann ich gleich zum Kern der Sache kommen. Wir hatten Grund zu der Annahme, dass es eine Beziehung zwischen dieser Sekte und dem Handel mit Snuffs geben müsse. Ich weiß, dass das eine gewagte Hypothese ist, aber…«
Sie unterbrach ihren Bericht, weil die zierliche Italienerin aufge-sprungen und in das angrenzende Schlafzimmer geeilt war, mit einer Geste, die andeutete, dass sie gleich wieder zurückkommen wür-de. Auf dem Tisch war der zweite Erdbeerbecher noch unberührt und ebenso die Schale mit der Chantillycreme.
»Ehe Sie fortfahren, müssen Sie sich das einmal anschauen«,
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