Bin ich hier der Depp
probierten. Klarer Fall von Diebstahl, meinte ihr Arbeitgeber!
Um die Kündigung perfekt zu machen, unterstellte die Firma dem Betriebsrat, er habe zusätzlich ein Brötchen gestohlen. Dumm nur, dass sich dieses Brötchen auf seinem Gehaltszettel fand, korrekt abgerechnet. Die Kündigung des Betriebsrates musste aufgehoben werden, ebenso die seines Kollegen. Die Richterin fand es »absolut unverhältnismäßig, einen Mitarbeiter nach 24 Jahren für einen Biss Käsecreme zu entlassen«. Zumal jeder Kunde wünsche, dass seine Produkte abgeschmeckt sind. [55]
Während der Schneider von Ulm noch glaubte, Fliegen sei etwas Schweres, können die Mitarbeiter in Deutschland behaupten: Nie war das »Fliegen« leichter! Wer sein Handy bei der Arbeit auflädt, ein Stück Bienenstich isst, das sonst im Müll gelandet wäre, oder als Kassiererin den Pfandbon eines Kunden über 1,30 Euro verwahrt, kann im hohen Bogen rausfliegen. [56]
Der beliebteste Entlassungsgrund: Ein Mitarbeiter erledigt Privates während der Arbeitszeit. Telefonieren mit dem Lebenspartner, einen Arzttermin vereinbaren, einen Privatbrief in den Postausgang der Firma legen: Pfui! All das kann dafür sorgen, dass die Firma ihr schweres Entlassungsgeschütz auffährt.
Aber während das Private keinesfalls in die Arbeit eindringen soll, während die Firmen eine juristische Mauer um ihr Territorium ziehen, darf die Arbeit frei in die gute Stube des Mitarbeiters marschieren. Eine krude Logik: Privates darf die Arbeit nicht stören – aber Arbeit das Private!
Die Mitarbeiter sind wieder mal die Deppen. Nicht nur weil sie von zu Hause nach Feierabend arbeiten, sondern weil sie das auch noch Geld kostet. Wer sein Privattelefon dienstlich verwendet, kann die Firma dafür nicht abmahnen. Wer sein Diensthandy in der privaten Steckdose auflädt, kann die Firma deshalb nicht entlassen. Und wer auf seinem Privatcomputer Dienstliches tippt, es auf seinem Privatpapier ausdruckt, natürlich mit seiner privaten Tintenpatrone, kann seine Firma deshalb nicht als Dieb bezeichnen – auch wenn ihm, sogar auf Nachfrage, kein Cent dafür erstattet wird.
Nimmt derselbe Mitarbeiter aber ein Blatt Papier oder einen Kugelschreiber aus der Firma mit nach Hause, um damit für die Firma zu arbeiten, liefert er der Firma damit einen Entlassungsgrund. Diesen Grund wird die Firma ignorieren, solange sie den Mitarbeiter braucht – und instrumentalisieren, sobald sie ihn loswerden will. Die Firmen fordern Loyalität von ihren Mitarbeitern. Und praktizieren das Gegenteil.
Bei einem Mittelständler kam es zu folgendem Fall: Ein langjähriger Mitarbeiter war schon mehrfach animiert worden, sich mit einem Vorruhestand anzufreunden. Man hätte sein stattliches Gehalt gern von der Lohnliste gestrichen. Doch er wollte bis zur Rente am Ball bleiben und kniete sich nach wie vor in die Arbeit rein – so sehr, dass er seit vielen Jahren jeden Tag Aufgaben mit nach Hause nahm.
Eines Abends, als er das Gelände der Firma verlassen wollte, sprach ihn ein bulliger Mann an:
»Guten Tag, ich bin Detektiv und handele im Auftrag Ihrer Firma. Bitte öffnen Sie Ihre Aktentasche.«
Der Mitarbeiter sträubte sich, doch der Detektiv drohte mit der Polizei. Also gut, er hatte nichts zu verbergen. Sollte er ihn doch durchsuchen!
Der Detektiv wühlte in der Aktentasche und hielt triumphierend einen USB -Stick in die Höhe: »Was haben wir denn da!«
»Das ist meine Arbeit für heute Abend.«
»Nein«, sagte der Detektiv, »das ist Diebstahl!«
Die Firma behauptete, der Mitarbeiter habe den mit Tagesarbeit gefüllten Datenträger stehlen wollen – und entließ ihn fristlos. Sein Einwand, dass er seit vielen Jahren Arbeit auf diese Weise mit nach Hause nehme, wies das Unternehmen zurück. Doch vor Gericht bezog die Firma eine Schlappe, weil der Mitarbeiter durch Mails nachweisen konnte: Sein Chef war im Bilde gewesen.
Weniger Glück hatte eine Mitarbeiterin in Sachsen: Sie hatte Daten der Firma auf einen privaten Datenträger gespielt. Doch was aus Fleiß geschah, wurde ihr als Datendiebstahl ausgelegt. Das Landesarbeitsgericht schloss sich diesem Vorwurf an. [57]
Die härtesten Entlassungs-Attacken reiten Firmen gegen jene Mitarbeiter, die für die Rechte ihrer Kollegen eintreten: Betriebsräte. Eine moderne Hexenverbrennung greift um sich. Und sie fordert Opfer:
Als die Schwangere den Brief erhielt, schrie sie wie am Spieß. Ihre Wehen setzten vorzeitig ein. Mit Blaulicht ging’s ins Krankenhaus. Der
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