Bin ich hier der Depp
so tief unter der eigenen Arbeit vergraben, dass sie den Nachbarschreibtisch nicht einmal sehen, geschweige denn die dort auflaufende Arbeit mitmachen könnten.
Ein Abwesender ist ein leichtes Opfer. Die virtuellen Schrotflinten nehmen sein Mailfach unter Beschuss, schnell ist eine vierstellige Zahl von Mails aufgelaufen. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Deppen-Aufgaben, die der Chef dort ablädt, weil ein Abwesender sich nicht wehren kann. Und die Zahl der Post-it-Zettel an seinem Bildschirm ist so groß, als hätte dieser die Gelbsucht bekommen.
Und nun dürfen Sie raten, an was ein Mitarbeiter in seinem Urlaub pausenlos denkt: nicht an Drinks unter Palmen, nicht ans Rauschen des Meeres, nicht an seine Erholung – er denkt an eine Katastrophe, die ihn an seinem Arbeitsplatz erwarten wird: an Müll- und Mailberge, an überfällige Vorgänge und aufgelaufene Beschwerden! Eigentlich müsste ihn bei seiner Heimkehr in die Firma ein Betriebsseelsorger begleiten. Oder ein Rettungssanitäter mit Sauerstoffzelt.
Es ist ein Trickbetrug: Wer Urlaub bekommt, ohne dass seine Arbeit derweil erledigt wird, bekommt keinen Urlaub – seine Arbeit wird nur auf die Zeit danach verschoben. Ich kenne zahllose Mitarbeiter, die für eine Urlaubswoche von 40 Stunden damit büßen, dass sie diese Zeit in kleinerer Münze wieder an die Firma zurückbezahlen – zum Beispiel durch zwanzig Arbeitstage mit jeweils zwei Überstunden. So wird der Urlaub zur Hypothek.
Wie schnell das Erholungs- und Glücksgefühl nach einem Urlaub verpufft, fand die Universität Tel Aviv durch eine experimentelle Studie heraus: nach drei Tagen! [66] Wer am Montag zurück in die Firma kommt, dessen Nerven liegen schon am Donnerstag wieder fast so blank wie vor dem Urlaub.
»Erholung ist die Würze der Arbeit«, schrieb der weise Grieche Plutarch einst. Doch viele Firmen versalzen ihrer Belegschaft den Urlaub. Eine dünne Personaldecke diszipliniert: Mitarbeiter scheuen sich, in Urlaub zu fahren, auch wenn sie Erholung bräuchten. Sie scheuen sich, zu Hause zu bleiben, auch wenn sie krank sind. Keiner will seine Kollegen, die ohnehin auf dem Zahnfleisch gehen, durch seine Abwesenheit überlasten. Und so wird der Urlaub wieder mal verschoben.
Hamsterrad-Regel: Die drei schlimmsten Naturkatastrophen: Erdbeben, Tsunami und Rückkehr aus dem Urlaub. Die ersten beiden sind mit Glück zu überleben.
Schiffe versenken: So gehen Mitarbeiter unter
Die Arbeit braust wie ein Sturm durch die Entwicklungsabteilung des großen Elektrokonzerns. Die Tastaturen klappern um die Wette, Fetzen von hektischen Telefonaten fliegen durch den Raum, und wenn jemand zum Drucker muss, dann rennt er, als verfolgte er einen Dieb. Innehalten, nachdenken, pünktlich Feierabend machen – das ist hier verpönt!
Immer herrscht Action, immer geht es drunter und drüber. Die Entwicklungsabteilung steht unter Strom, und jeder weiß, wer für diese Spannung sorgt: der Chef, ein Marineleutnant der Reserve. Er drillt seine Arbeitsflotte, bringt neue Mitarbeiter sofort auf Kurs. Wer pünktlich Feierabend macht, in Ruhe an seinem Schreibtisch nachdenkt oder gar mit Kollegen plauscht, hört immer denselben Satz: »Ich habe das Gefühl, Sie sind nicht ausgelastet!«
Das klingt wie eine Drohung, und so ist es auch gemeint! Der Herr Marineleutnant sieht seine Mitarbeiter als Lastschiffe. Und wer zu weit aus dem Wasser schaut, wer »noch Luft hat«, wie er das gerne nennt, dem lädt er noch ein paar Tonnen Arbeit auf. Erst wenn das Schiff so tief im Wasser liegt, dass jedes weitere Arbeitskorn es zum Sinken brächte, stimmt die Auslastung. Dass gelegentlich ein Mitarbeiter untergeht, etwa im Burn-out, gehört zum Spiel; die Arbeits-Schlacht fordert Opfer.
Und was tun die Mitarbeiter, um nicht endgültig versenkt zu werden? Sie signalisieren Auslastung! Sie tauchen so tief in die Arbeit, dass nur noch ihre Haarspitzen hinausragen. Keiner nimmt reguläre Pausen in Anspruch, jeder verschiebt Urlaub, und die Terminkalender quellen über. Arbeitsfreie Lücken werden mit hektischer Aktivität gefüllt: Man schiebt Projekte an, trommelt Meetings zusammen und feuert Mails mit großem Verteiler ab, den Chef immer in CC .
Aus Angst, mit Arbeit überladen zu werden, überladen sich die Mitarbeiter selbst. Diese Manipulation ist raffiniert, denn niemand kann dem Chef vorwerfen, er spiele Schiffe-Versenken mit Menschen; zum Absaufen bringen sich die Mitarbeiter scheinbar selbst. Er sagt ja nur: »Ich glaube,
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