Bin oder die Reise mach Peking
Kreischen, die morgendliche Sonne über den Wellen, ein Hauch von goldener Sonne, das alles ist schön, und als ich die Hände wieder sauber geklatscht hatte, sah ich, daß Bin, kein andrer als Bin, neben mir stand.
»Gehen wir?« fragte er. Er war es wirklich.
Ich hatte mich daran gewöhnen lassen, Bin für einen Traum zu halten, alles andere aber für wirklich … Ein wenig schrecke ich zusammen, jedesmal, lächle unsicher, ob er meiner nicht spotten wolle. Er aber, sehe ich, meint es ganz ernst mit unsrer Reise nach Peking und jedesmal tut er, als hätte ich ihn überhaupt nie vergessen, verraten, verlassen. Er steht da, raucht seine Pfeife oder stopf sie, und wie zu einem, der hinter einen Busch getreten ist und wiederkommt, sagt er:
»Gehen wir?« Hier war es schon Herbst.
W ie liebe ich den Herbst! Eines Morgens hangt er wie Rauch vor den Bäumen, sie stehen noch sommerlich prall, aber sie stehen hinter einer Seide von bläulicher Kühle, die alles verzaubert, alles vergeistert. Die Luf, sie schimmert wie der Hauch um eine süße Pflaume, und ein holder Schrecken befallt uns jedesmal, da wir es sehen, es wiedersehen. Auch um die schweren Sterne der Dahlie, die auf den langen wanken Stielen nicken, leuchten in Sonne und Tau, im feuchten Gefunkel des gläsernen Morgens – um ihr trunkenes Dunkel von Blut: ein silberner Hauch, ein Schleier von Asche umweht sie … Einmal sagte ich zu Bin:
»Unser Leben ist kurz!« Bin lachte:
»Woher kommst du, daß du so traurig in die Welt redest? Wer hat dich so weise gemacht?« Ich zuckte die Achsel.
Indessen gingen wir am Ufer entlang. Ja, auch die Schwäne haben es leichter … Oder wir standen, wir lehnten an das Geländer, und es läuteten die Glocken aus der Stadt, ganze Chöre von Glocken; es summte – man kann nicht sagen, daß es klang; es brummte die Stille über dem silbernen Wasser. Wie of schon, dachte ich, wie of schon! Und draußen die leeren Bojen, wie weiße Zipfelmützen schwimmen sie aus dem sonnigen Dunst. Die letzten Segelschiffe sind aufs Trockene genommen. Ein wenig blinzelt man: das Glimmern der Wellen, das bläuliche Fehlen der Berge, Möwen darin, die immer noch zankten … »Es ist schade«, sagte ich zu Bin, »daß du ein Geist bist – wir haben nun endlich eine Wohnung gefunden, die ich dir so gerne zeigen möchte. Sogar Garten haben wir nun, nicht viel, Blumen, Ausblick in die Bäume der Nachbarn, in Kirschen und Birnen, die nicht uns gehören, und im Herbst, mitten in der blauen Stille, hört man sie plumpsen. Nun haben wir auch bald ein Kind. Wir sind in einer Weise glücklich, die uns kaum noch ein Recht läßt auf Sehnsucht; das ist das einzig Schwere …« Ich schwatzte viel zu viel. Bin gab mir Feuer.
»Es ist schade«, sagte ich rauchend, »daß du ein Geist bist. Du solltest am Abend manchmal herüberkommen –«
Manchmal kommen sie am Abend herüber, Freunde, nicht viele, nicht eigentlich of, wir trinken einen Wein, spannen die verflochtenen Hände ums Knie – und draußen steigt langsam der Mond über die Obstbäume. Oder man geht in die Stadt: –
Wen verlangt es nicht einmal, jählings, nach anderen Stimmen. Man redet dann über das Ereignis, die Welt, oder man schwätzt über Leute, die der andere auch kennt, vielleicht sogar näher und besser kennt, und immer ist es mindestens einer, der den Genannten, sei es ein Staatsmann oder ein Künstler oder ein Forscher, nicht schätzt. Oh, man schimpf nicht über ihn. Ein Lächeln, ein Mundwinkel, ein ganz kleiner und fast harmloser Witz kann genügen, oder auch nur eine gewisse Art des Schweigens, sobald sein Name gefallen ist. Immer das Schmerzliche, daß einer, den du schätzest oder gar liebst, nicht ernst genommen wird von anderen, die du schätzest. Schließlich, da keiner mehr vorhanden ist, der unsere Achtung auf sich vereinen könnte, gibt man sich einen inneren Ruck, nimmt einen Salzstengel und fragt: Kennen Sie Bin?
Sie tun, als kennten sie ihn nicht. Und jemand winkt schon dem Kellner. Auch ihre Nichtkenntnis, die allerdings selten aufritt, ist immer noch ein wenig abschätzig – so: wäre er etwas, würden wir ihn schon kennen.
Im Augenblick sind solche Abende, die man nicht missen möchte, immer sehr anregend, unterhaltsam, es gibt soviel gescheite Leute, und nachher auf dem Heimweg kommt das fade Gefühl, Regen im See, der sonst die Sterne spiegelt, die marmorne Stille der schlafenden Schwäne schaukelt. Zu Hause dann, wortkarg und unschlüssig noch dem Schlaf
Weitere Kostenlose Bücher