Binärcode
arbeiten kannst ?«
Rünz ignorierte die Bemerkung.
»Frauen wollen keine Probleme lösen, Klaus, sie wollen über Probleme reden !«
Brecker schwieg. In dem übersichtlich verdrahteten Schaltkasten zwischen seinen Ohren schien die archaische Form eines Denkprozesses in Gang zu kommen.
* * *
Der Raum hatte eine völlig veränderte Wirkung, seit Rünz sich hier mit Sigrid Baumann getroffen hatte. Die Vorhänge zum Kontrollzentrum waren verschwunden, die transparente Glasfront vermittelte den Eindruck, mitten in der Kommandozentrale zu sitzen. Die großen Displays über den Steuerungsterminals zeigten kurze animierte Sequenzen, Simulationen der Startphasen der Galileo-Testsatelliten Giove-A und -B in Baikonur. Die Eröffnung des Galileo-Gründerzentrums hatte einen ansehnlichen Presseauflauf verursacht. Rünz stand hinten an der Wand, die vorderen Reihen hatten die Kameraleute vom Hessischen Rundfunk mit ihren Kollegen vom Mainzer Lerchenberg in Beschlag genommen, dahinter drängten sich Journalisten der überregionalen Zeitungen und Fotografen der großen Nachrichtenagenturen.
Der Ministerpräsident versuchte, einen professionellen Eindruck zu vermitteln, so als hätte er eben noch am Joystick gesessen und einen 100-Millionen-Euro-Satelliten durch die Saturnringe manövriert. Der Landesvater war, wie die restlichen 150 Prozent der bundesdeutschen Politiker, Jurist und hatte keine Ahnung vom Thema, aber er war Profi genug, um sich einigermaßen sicher aus der Affäre zu ziehen. Und wenn er Begriffe wie ›Anschubfinanzierung‹, ›Plattformkonzept‹, ›Masters-Wettbewerb‹ und ›Space Incubator‹ verwendete, dann stand er sichtlich euphorisiert in der vordersten Linie der Innovationsfront. ESA-Direktor Gerry Summers saß mit etwas zerknautschtem Gesicht daneben – er schien insgeheim zu beten, dass der Politiker nicht auf die Teflonpfanne zu sprechen kam. Nachdem der Landesherr sein Selbstdarstellungsprogramm durchhatte, ergriff Summers das Wort, ein erfreulich uneitler und sachorientierter Vortrag über die Herausforderungen und Chancen des neuen Satellitennavigationssystems. Rünz bewunderte Menschen wie ihn, die ihr Leben einer faszinierenden Tätigkeit widmeten und nicht ständig an der existenziellen Unsicherheit knabberten, die ihm der Schöpfer als Wegzehrung mitgegeben hatte.
Wenn man den beiden Glauben schenken mochte, dann würde Darmstadt in wenigen Jahren zum Los Alamos der Satellitennavigation werden. Das neue Gründerzentrum hatte prominente Träger – Land Hessen, Stadt Darmstadt, T-Systems, Technische Universität, aber auch Unternehmen wie ORION und die INI GraphicsNet Stiftung, von denen Rünz nie zuvor gehört hatte. Im Kern schien es um ein europäisches Konkurrenzmodell zum US-amerikanischen Navigationssystem GPS zu gehen, und die Initiatoren schienen sich erhebliche ökonomische Impulse von der ganzen Sache zu versprechen. Drei Milliarden Euro Investitionen, 100 Milliarden Wertschöpfung, 100 000 zukunftsorientierte Arbeitsplätze, davon über 1000 in Hessen – die Ziele waren hoch gesteckt. Und mit dem schneidigen Kürzel ›CESAH‹ für ›Centrum für Satellitennavigation Hessen‹ konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Nachdem Summers die Rahmendaten des neuen Gründerzentrums dargelegt hatte , stellten einige Jungunternehmer ihre ersten Pilotprojekte für das neue Navigationssystem vor. Ihre Produkte hatten smarte, lautmalerische Namen wie ›G-Wale‹, ›Floater‹, ›Satelles‹ und ›4d-Miner‹ und versprachen kleine Revolutionen in den Bereichen Hochwasservorhersage, Touristenorientierung und mobile Datenerfassung. Die Begeisterungsfähigkeit intelligenter junger Menschen für alle Themen rund um Informationstechnologien und Telekommunikation rührte Rünz. Von all den Bits und Bytes schien eine geheimnisvolle Heilsversprechung auszugehen, die Aussicht, Trostlosigkeit und Elend des irdischen Daseins zu überwinden, wenn man nur alles und jeden breitbandig genug miteinander verband.
Die Plaudereien im Anschluss an die Vorträge sparte sich der Kommissar. Auf dem Weg zum Ausgang blätterte er in dem Handout für die Pressevertreter. Brecker war schon in Sichtweite, er wartete vor dem ESOC-Gelände im Streifenwagen. Rünz schlenderte provozierend entspannt – wann hatte er schon mal einen Chauffeur zur Verfügung? Sigrid Baumann fing ihn ab, bevor er am Auto war. Er hatte sie bei dem Empfang überhaupt nicht bemerkt.
»Wie hat es Ihnen
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