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Rheinstraße zum Stehen.
»Weißt du, was das bedeutet? Ein Katzenklo! In unserer Wohnung! Da können wir ja gleich Campingurlaub auf der Kläranlage machen !«
Sie schwieg eine Minute, dann presste sie die Lippen zusammen, ihr Brustkorb begann zu beben. Die höchste Eskalationsstufe war erreicht, sie setzte die furchtbarste Vergeltungswaffe ein, die Frauen in heterosexuellen Partnerschaften zur Verfügung stand – die Träne.
Eine fast ausweglose Situation, aber wie J. F. Kennedy in der Kubakrise wuchs Rünz in dieser Stunde größter Gefahr mit einer genialen diplomatischen Initiative über sich hinaus.
»Na ja, vielleicht könnte ich mich ja mit dem Gedanken anfreunden. Unter einer Bedingung.«
»Was für eine Bedingung ?« , schniefte sie.
»Blümchen gefällt mir nicht. Ich darf einen neuen Namen aussuchen .«
Sie zögerte einen Moment, der schnelle Triumph schien ihr unheimlich.
»Und woran hast du da so gedacht ?«
»An MUSCHI.«
Zehn Sekunden Stille.
»Das ist nicht dein Ernst .«
»Warum nicht, ist doch ein ganz normaler Katzenname .«
»Also ›Muschi‹ ist definitiv kein ganz normaler Katzenname .«
»Ach und warum nicht? In Bessungen hieß früher jede zweite Katze Muschi. Und nostalgische Namen sind doch schwer angesagt. Die jungen Eltern nennen ihre Kinder heute doch auch Anna, Maria, Friedrich und Maximilian. Warum also keine Katze, die Muschi heißt ?«
»Du weißt genau, warum das nicht geht .«
»Erklär’s mir !«
»Weil dieser Name im Laufe der Zeit eine Bedeutungsänderung erfahren hat .«
»Bedeutungsänderung hin oder her, entweder sie heißt Muschi oder wir haben keine Katze .«
Den Rest der Fahrt setzten beide schweigend fort. Rünz war stolz auf sich. Eigentlich war es genau so gelaufen, wie es die Paartherapeutin immer angeregt hatte. Beide hatten ihre konträren Interessen artikuliert, einander zugehört, dann hatte einer von beiden einen solide austarierten Kompromissvorschlag ausgebreitet. Endlich machten sie Fortschritte mit der Beziehungsarbeit.
* * *
Rossi beim Vibrationstest des Philae-Landers, Rossi beim Systemtest in der Klimakammer, Rossi bei der Montage der Primärstruktur der Sonde in Finnland und bei den dynamischen Belastungstests in Turin. Auf einer Aufnahme stand er vor den riesigen Solarpanels der Sonde, auf einer anderen im holländischen Noordwijk vor dem Kontrollpult des Large-Space-Simulators, in dem die Komponenten Kälte und Vakuum ausgesetzt wurden. Dann wieder auf einem Gruppenfoto vom Dezember 1998, entstanden im Rahmen eines kompletten Design Reviews des gesamten Systems durch eine unabhängige Expertengruppe. Er fiel auf jedem der Bilder sofort durch seinen massigen Körper auf, sein rundes Gesicht mit dem fliehenden Kinn und der kleinen, eher femininen Stupsnase.
Rünz lag im Wohnzimmer auf der Couch und ging die Bildmappe im Schnellgang durch, die ideale Ablenkung von dem Frankfurter Riverdance-Albtraum des Vorabends. Das Material stammte von einem Vortrag, den Rossi in der Volkssternwarte gehalten hatte. Stadelbauer hatte ihm die Unterlagen im Präsidium hinterlegt, sie enthielten Privataufnahmen aus Rossis Archiv und detaillierteres Hintergrundmaterial als die Pressemappen, mit denen die PR-Abteilung des ESOC die Öffentlichkeit informierte. Rünz hielt eine komplette Chronologie der Rosetta-Mission in den Händen.
Rossis Überpräsenz auf den Fotos, die einen Zeitraum vom Ende der 80er-Jahre bis zum Start der Sonde im Jahr 2004 dokumentierten, hatte zum Teil skurrile Züge. Kein anderes Mitglied des Teams war so oft abgebildet wie er, und das bei einem hochgradig arbeitsteilig organisierten Eine-Milliarde-Euro-Projekt, an dem sicher Tausende von Menschen arbeiteten, die Zulieferer, Subunternehmer und externen Dienstleister eingerechnet. Er wirkte wie die überbesorgte Nanny der Raumsonde. Rünz musste schallend lachen über Aufnahmen, die den Italiener bei der Arbeit in Reinlufträumen zeigten, seinen massigen Körper eingezwängt in Schutzanzüge, die ihn umschlossen wie ein Latex-Dress aus dem SM-Shop.
In der Woche vom 12. bis zum 16. November 2001 hatten zwölf Tieflader die komplette, in Turin montierte Sonde in klimatisierten Überdruckcontainern quer durch den Kontinent zum European Space Research and Technology Centre nach Noordwijk gebracht. Hier machte der Satellit noch einmal alle Prüfungen durch, die die Einzelkomponenten schon hinter sich hatten – Vibrationstests, Vakuumkammer, Kühlschrank,
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