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Inkubator«, half Hoven. »Ein Technologie-Inkubator. Die EU verspricht sich einen Added Value von über 100 Milliarden Euro von Galileo, bei vier Milliarden Euro Kosten. Das nenne ich einen Return on Investment. Und die Rhein-Main-Region will sich ein ordentliches Stück vom Kuchen abschneiden .«
»Die Platte hat mir Sigrid Baumann vom ESOC schon vorgespielt, ist bei mir ganz oben in den Charts«, sagte Rünz. »Tut gut, auch mit Ihnen mal drüber zu reden .«
»Was ich meine ist, und da sind wir mit der Landesregierung und dem Magistrat ganz und gar committed – lassen Sie es mich mal bildlich erläutern. Wenn verschiedene Wege nach Rom führen, dann muss man ja nicht unbedingt den nehmen, auf dem man die meisten Passanten mit Dreck bespritzt .«
»Aber nach Rom wollen wir schon kommen, oder ?« , beharrte Rünz.
Der Staatssekretär nutzte den leeren Mund, um vor dem nächsten Bissen ein Statement abzugeben. Seine Mundpartie glänzte, er zeigte auf Rünz, um seiner Meinung Nachdruck zu verleihen, von seiner Fingerspitze tropfte Saft auf die Theke.
»Und das gilt gerade jetzt, das ganze Projekt steckt in der Krise, und für Darmstadt steht einiges auf dem Spiel !«
Rünz angelte sich ein Schälchen Reis von der Fischautobahn.
»Kritische Phase? Bei der Eröffnung des ›Centrums für Satellitennavigation‹ war doch noch alles eitel Sonnenschein. Unser Ministerpräsident hat gegrinst wie ein Froschkönig, der von Kate Moss wachgeküsst wird .«
»Kritische Phase ist vielleicht etwas übertrieben«, wiegelte Hoven ab und tupfte sich kultiviert die Mundwinkel mit seiner Serviette. »Wie bei allen Projekten dieser Größenordnung muss das Scheduling ständig upgedatet, das Budget an die aktuelle Entwicklung adaptiert werden. Außerdem existiert verstärkter Abstimmungsbedarf im Betreiberkonsortium. Alles im grünen Bereich.«
»Sie meinen, die Kosten laufen aus dem Ruder, die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut, und die Zeitpläne sind Makulatur ?«
Hoven legte sein Besteck zur Seite, faltete die Hände auf der Theke, legte den Kopf etwas schief und schaute Rünz tadelnd an wie der Dorfschullehrer den Klassenkasper.
»Herr Rünz, die Message ist – und da geht der Herr Staatssekretär völlig d’accord mit mir –, wir sind alle erwachsene Menschen und tragen Verantwortung für unser Tun, und das gilt auch für die weitreichenderen Folgen unseres Handelns. Ich fordere Sie einfach nur auf, den Blick über den Tellerrand zu richten .«
An Regionen jenseits des Tellerrandes schien der Mann aus dem Ministerium wenig interessiert. Er hatte Hovens kleinen Appell genutzt, um sich die Backentaschen vollzuschaufeln wie ein Hamster vor dem Winterschlaf.
»Voll d’accord, ganf genau!«
* * *
Rünz gab dem verstaubten Besäumschlitten der Formatkreissäge einen leichten Schubs, das Aluminiumprofil bewegte sich auf der Rollenführung lautlos und sanft bis zum Anschlag. Die Altendorf hatte weder ein schwenkbares Sägeblatt noch ein Vorritzaggregat, aber sie hatte in über 30 Einsatzjahren nichts an Präzision und Zuverlässigkeit eingebüßt. Was nicht dran ist, kann nicht kaputtgehen. Sein Vater hatte sich den großen technischen Innovationen im Schreinerhandwerk stets verwehrt, die Arbeit am Zeichenbrett der CAD-Konstruktion am Bildschirm vorgezogen, computergesteuerte CNC-Maschinen waren ihm zuwider gewesen. Rünz ging durch den Maschinenraum zur riesigen Furnierpresse, die ihn als Kind am meisten fasziniert hatte. Im Alter von acht Jahren hatte er mit ihrer Hilfe im Rahmen eines kleinen Jugend-forscht-Projektes nachgewiesen, dass man den Körper einer Feldmaus auf über einen Quadratmeter Fläche verteilen konnte, wenn man ihn zwischen zwei großen Metallplatten ausreichend großem Druck aussetzte. Das Gehäuse der Hydraulikpumpe war geöffnet, sein Vater hatte wohl Wartungsarbeiten durchgeführt, kurz vor seinem Verkehrsunfall.
Irgendwann würde Rünz entscheiden müssen, ob er die Werkstatt vermietete oder verkaufte. Der Maschinenpark war nicht auf dem neuesten Stand, aber gut in Schuss, Abricht- und Dickenhobel, Tischfräse, Furnierpresse und Kreissäge würden vielleicht 15 000 bis 20 000 Euro abwerfen, die Handmaschinen und -werkzeuge noch mal 3000 bis 4000. Im Holzlager schlummerten noch einige Preziosen, hochwertige Sägefurniere von ostindischem Palisander, Riftbretter von Schweizer Birnbaum und Walnuss. Wenn er die letzten Überreste seiner Vergangenheit über eBay
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