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entsorgte, würde es vielleicht für einen Lexus SC reichen, und er konnte auf dem Parkplatz des Präsidiums Hoven eine lange Nase machen.
Durch die Schwingtür betrat er den Bankraum, in dem er die meisten Nachmittage seiner Schulzeit verbracht hatte. Seine kleine Junior-Hobelbank stand immer noch an ihrem Platz, übersäht mit unzähligen Leim- und Farbklecksen und den Spuren unsachgemäß benutzter Stemmeisen und Sägeblätter. Er öffnete die Kipplade. Alles war an seinem Platz – die alten Stechbeitel, die Klingen vom hundertfachen Nachschärfen stark verkürzt, Schrupp- und Putzhobel, Raubank, Klüpfel, Fein- und Gestellsäge. Der Altgeselle Friedrich hatte ihn hier eingewiesen in die Geheimnisse der klassischen Holzverbindungen, Schwalbenschwanz- und Fingerzinken, Schlitz und Zapfen, Überblattung und Gratnut. Mit Wehmut dachte er zurück an die ersten handwerklichen Erfolge, den Stolz und die tiefe Befriedigung, als er mit Werkzeug und Material so selbstverständlich und präzise umgehen konnte wie ein junger Orchestermusiker mit seinem Instrument. Rünz nahm eine Feinsäge aus der Lade und prüfte Schärfe und Schränkung der Zähne zwischen Daumen und Zeigefinger. Der alte Friedrich hatte Kinder gemocht.
Warum sollte er sich etwas vormachen. Er war nicht gekommen, um den Verkauf der Werkstatt vorzubereiten, die laufenden Kosten für das kleine Anwesen waren nicht der Rede wert, er stand also nicht unter Zeitdruck. Es ging um etwas anderes. Die Diagnose hatte ihn wie nichts zuvor mit seiner Vergänglichkeit konfrontiert. Jetzt hatte er das Bedürfnis, seinem Leben rückwirkend irgendeinen Sinn zu geben, einen roten Faden zu finden, der dieser Dauerbaustelle seiner Existenz eine tiefere Bedeutung verlieh. Der Tod war schon sinnlos, als Abschluss eines sinnlosen Lebens war er schlicht inakzeptabel.
* * *
Menschen in solchen Stimmungslagen hatten grundsätzlich zwei Optionen – die Couch eines Analytikers oder den Barhocker an einer Theke. In friedlicher Eintracht saß Rünz mit Brecker schweigend im ›Godot‹ in der Bessunger Straße. Er hatte seinem Schwager den Businessplan für seine Recharger-Vermarktung verhagelt, Brecker hatte mit der NYPD-Nummer auf dem Parkhausdeck zurückgeschlagen – quid pro quo. Die 15 Striche auf den Rändern ihrer Bierfilze hatte der Wirt so akkurat aufgemalt wie die Genfer Uhrmacher die Minutenstriche auf Hovens Patrimoni. Sie hatten leidenschaftlich diskutiert über die Neuentwicklungen auf dem Markt der Handfeuerwaffen, dann, wie eine lästige Pflicht, deren beider längst überdrüssig waren, hatten sie die körperlichen Attribute der weiblichen Neuzugänge im Präsidium durchgesprochen. Um die Konversation nicht vollends einschlafen zu lassen, begann Rünz, seinem Schwager die geostrategische Weltlage auseinanderzusetzen. Er spannte, seinem Alkoholpegel entsprechend, einen weiten Bogen vom Sinn und Unsinn des dreigliedrigen deutschen Schulsystems über die Nachteile makrobiotischer Frühstückscerealien bis zur aktuellen Zinspolitik der US-Notenbanken. Ohne jede Rücksicht auf den Kontext baute er einige von Hovens Lieblingsanglizismen in sein Referat ein, er platzierte sie einfach da, wo sie sich einigermaßen harmonisch in die Satzmelodie einfügten.
Die Mühe nutzte nichts, Breckers Aufmerksamkeit wurde zusehends von zwei Damen absorbiert, die seit einigen Minuten neben ihnen auf ihren Barhockern saßen und Cocktails tranken. Rünz spähte hinüber, ohne seinen Vortrag zu unterbrechen – beste Freundinnen, Mitte 40, beide in sandfarbenen Woll-Cardigans, die sie lasziv von der Schulter rutschen ließen, breiten Lackleder-Gürteln und schwarzen Slimpants. So stellte sich Rünz die typische ›Brigitte Woman‹-Abonnentin vor. Wahrscheinlich benutzten sie die ›Dove pro-age‹-Pflegeserie, ihre Kinder waren aus dem Gröbsten raus, ihre Ehemänner vögelten ihre Sekretärinnen, und sie wollten jetzt noch mal so richtig was erleben. Die beiden schickten ohne Unterlass Sprecht-uns-jetzt-bitte-nicht-an-denn-das-haben-wir-ja-nun-überhaupt-nicht-nötig-Blicke zu den beiden Polizisten. Brecker begann zu schnaufen und scharrte mit dem Fuß auf dem Boden wie ein spanischer Kampfstier, den die Picadores mit ihren Lanzen in Stimmung gebracht hatten. Rünz ahnte Unheil, seine Analyse kam ins Stocken, er musste sich zusammenreißen, um wenigstens ein halbwegs plausibles Fazit zusammenzubringen, faselte etwas von der Rettung des Universums durch moderate
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