Binärcode
Steuersenkungen für gemeinschaftlich veranlagte nichteheliche Lebensgemeinschaften. Dann drehte er sich etwas weg von seinem Schwager und begann, konzentriert seinen Bierfilz zu studieren. Was immer auch geschehen mochte in den nächsten Minuten, er beschloss, einfach nicht involviert zu sein.
Brecker stand auf und schwankte auf die Frauen zu, der Wirt stellte voll der Vorfreude die Musik etwas leiser, Rünz vertiefte sich in seinen Bierfilz, als hätte er eine alte Schatzkarte in der Hand. Die Weibchen suchten ihre Begeisterung über Breckers Annäherung mit gleichgültigen Gesichtsausdrücken zu kaschieren, strichen sich kokett ihre Haare hinter die Öhrchen und warfen sich ins Hohlkreuz, dem paarungswilligen Männchen ihre vom Nachwuchs schlaff gesaugten Milchdrüsen zur Stimulanz darzubieten. Brecker stellte sich zwischen die Damen, legte beiden je eine seiner bratpfannengroßen Pratzen auf die Schulter und zog sie an seine Heldenbrust.
»NA IHR BEIDEN SÜSSEN, IHR HABT EURE BESTEN JAHRE ABER AUCH SCHON HINTER EUCH, ODER ?«
Rünz hörte eine unendlich lange Sekunde lang gar nichts, dann klatschte es zweimal kurz hintereinander, und er hörte, wie seinem Schwager zwei Caipirinhas von Ohrläppchen, Kinn- und Nasenspitze heruntertropften. »AAAARGHHH«, grunzte Brecker und leckte sich mit seiner Ochsenzunge Cachaça und Limettensaft von der Mundpartie. Die Banderillas steckten tief im Nacken des Stiers, er kam in Fahrt.
»Superlecker, Mädels. Jetzt mal abgesehen vom Alter, ihr beiden, wie ist das eigentlich als Frau, wenn man nicht ganz so attraktiv ist? Ich stell mir das ziemlich deprimierend vor !«
Rünz studierte inzwischen konzentriert die Speisekarte, er hatte mit alldem ja so was von überhaupt nichts zu tun. Das Nächste, was er hörte, war ein helles, heiseres ›Hoooooo‹. Er schaute aus den Augenwinkeln hinüber, eine der Damen hatte ihre Hand in Breckers Schritt zur Faust geballt, und welche kostbaren kleinen Organe sie dort nach Belieben zusammenpresste, war unschwer zu erahnen. Schon vom Zuschauen blieb Rünz die Luft weg. Breckers nasser, gedunsener Kopf schien fast zu platzen, er stand regungslos schweigend mit schreckgeweiteten Augen und atmete schnell und flach. Sie hatte ihn mit einer Hand völlig unter Kontrolle, er hätte Ballett getanzt, wenn sie darauf bestanden hätte.
»Ist das Ihr Haustier ?« , fragte sie.
Rünz brauchte einen Moment, um zu verstehen – sie hatte tatsächlich ihn angesprochen, einen völlig Unbeteiligten!
»Ist mir zugelaufen«, sagte er. »Der will nur spielen .«
* * *
Es schneite. Rünz hatte Hovens Flexibilisierungsangebot dankbar angenommen und spontan einen Tag Heimarbeit angemeldet, um seinen Rausch auszuschlafen. Warum wollte der Chef ihn unbedingt am Abend doch noch mal im Präsidium sehen?
Die Chauffeure auf dem Parkplatz lehnten mit Schals und Handschuhen an den Kotflügeln der gepanzerten Limousinen, rauchten und machten sich über die Marotten der Entscheidungsträger lustig, die sie Tag für Tag durch die Republik fuhren. Zwei aktuelle S-Klasse-Modelle, zwei 7er BMWs und der Phaeton eines Funktionärs mit intellektuellem Anspruch, alle Schutzklasse B6/B7, mit zentimeterdicken Scheiben, Spezialbereifung und diskret verarbeiteter Panzerung, die nur der Fachmann auf den ersten Blick erkannte.
Hovens Stimme hatte am Telefon die gewohnte Souveränität gefehlt, er hatte angespannt und nervös gewirkt, Rünz fast angefleht, sofort ins Präsidium zu kommen. Brecker empfing ihn schon am Eingang.
»Hör zu, Karl, ich …«
»Wo sitzt die Truppe ?« , unterbrach ihn Rünz.
»Mit Hoven im großen Besprechungsraum. Aber wir müssen unbedingt vorher …«
»Wer sind die ganzen VIPs mit den Stretchlimos ?«
Rünz war in Kampfstimmung. Er legte eine forsche Gangart durch die Flure ein, Brecker hastete hinter ihm her und kam kaum zu Wort.
»Keine Ahnung, irgendwelche hohen Tiere, Wiesbaden, Karlsruhe, Pullach. Hör zu, wir müssen unbedingt …«
»Was glotzt ihr alle so? !« , fauchte Rünz die Kollegen an, die in den Türrahmen standen und das seltsame Paar anstarrten, Don Quijote und Sancho Panza auf dem Weg zu den Windmühlen. Noch wenige Meter bis zur Tür.
»Ich muss dir vorher etwas sagen, es geht um Yvonne. Warst du gestern Abend noch bei ihr ?« , hechelte Brecker.
»Ja, warum? Sie hat die Tarife erhöht. Bahn, Post, Telekom – alle erhöhen mal die Tarife. Willst du mich anpumpen? Lass einfach die Extras weg .«
»Hör auf und
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