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Binärcode

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Titel: Binärcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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irgendein Spielzeug, da müssen sich selbst Großkaliber-Profis langsam rantasten. Was da vorn rauskommt, ist kein Mündungsfeuer, das ist ein Flammenwerfer! Der Rückstoß kann dir dein Handgelenk zerbröseln! Außerdem musst du dir nicht nur Gedanken über dein Ziel machen, sondern auch über alles, was dahinter steht …«
    »Klaus ist gleich wieder einsatzfähig«, unterbrach Rünz und zwinkerte Schannin zu, die immer noch im Flur stand, rauchte und Kaugummiblasen platzen ließ. Dann war er im Treppenhaus.
    »Wann sehe ich mein Baby wieder ?« , rief Brecker ihm hinterher. Die Tür gegenüber öffnete sich einen Spalt, seine alte Nachbarin starrte ihn an.
    »Alles in Ordnung, Herr Brecker? Soll ich die Polizei rufen ?«

     

     
    * * *

     

     
    ›hife stenwate‹

     
    Stadelbauer hatte nicht gerade die üblichen SMS-Abkürzungen verwendet, aber wahrscheinlich hatte er beim Tippen andere Sorgen. Der Idiot hatte sich in der Sternwarte einquartiert. Genauso gut hätte er sich ein T-Shirt mit einem Fadenkreuz und der Aufschrift ›Ziel‹ anziehen können. Das Schneetreiben wurde immer dichter, Rünz überquerte die Straßenbahngleise und brachte seinen Passat mit Schwung hoch bis zur Heinrich-Delp-Straße. Die Sichtweite betrug kaum fünf oder sechs Meter, wenn er aufblendete, verwandelten sich die Myriaden von Flocken vor den Scheinwerfern in eine undurchdringliche weiße Wand. Mehrmals musste er aussteigen und die Schilder lesen, bis er die schmale Stichstraße zum Seminar Marienhöhe hinauf gefunden hatte. An der Steigung, die hinter dem Internat zur Ludwigshöhe hochführte, drehten die Vorderräder seines Passats ohne Grip durch, er kam keinen Meter weiter. Winterreifen waren eine praktische Sache, wenn sie nicht in der Garage lagen. Er stieß rückwärts auf den Parkstreifen, nahm sich seine kleine MagLite aus dem Handschuhfach und stieg aus.

     
    Die eigentlich eindrucksvolle Verwandlung, die eine Großstadt durch eine geschlossene Schneedecke erfuhr, war keine optische, sondern eine akustische. Der Schnee machte die Stadt leise , absorbierte das gewohnte urbane Hintergrundrauschen. Rünz ging einige Schritte durch die Stille. Der letzte halbe Kilometer führte in Serpentinen die Anhöhe hinauf. Vor der ersten Kurve blieb er stehen und lauschte. Von der Höhe näherte sich ein hochfrequentes, gequältes Fauchen, Rünz tippte auf einen viel zu hochgedrehten, hubraumstarken Turbodiesel. Mehrmals wendete er den Kopf, um das Fahrzeug zu orten – vergeblich. Der Lärm schwoll an, er machte einige Schritte weg von der Straße, um nicht überfahren zu werden. Die Elektronik eines Automatikgetriebes schien mit den sinnlosen Gasbefehlen des Fahrers nicht klarzukommen und jagte wild durch die Gangstufen. Der Lautstärke nach zu urteilen musste das Fahrzeug noch 50 oder 60 Meter entfernt sein, die Schneeflocken um ihn herum wurden langsam in ein fahlgelbes Licht getaucht. Das Fahrwerk ächzte rhythmisch, als müsste es große Bodenwellen überwinden. Welche Bodenwellen? Rünz starrte auf die schmale Straße, und als ihm bewusst wurde, dass der Fahrer nicht die reguläre Serpentinenstrecke, sondern die Downhill-Route der Mountainbiker mit den künstlich aufgeschütteten Sprungschanzen nahm, war es fast zu spät. Die mächtige, kantige Front des G-Klasse-Mercedes erschien wie ein Raubtier mit glühenden Augen im Sprung. Rünz warf sich zur Seite, der chromglitzernde Kuhfänger vor dem Kühlergrill erwischte seine Füße, warf seine Beine zur Seite, ließ ihn auf der glatten Schneedecke einige Pirouetten drehen, bevor er auf dem Bauch liegen blieb. Der schwere Revolver war aus seiner Manteltasche in den Neuschnee gerutscht. Das Motorengeräusch ebbte ab, der Fahrer hatte sich offensichtlich mit beiden Füßen auf die Bremse gestellt – bevor das ABS eingreifen konnte, stand der Wagen quer und schlitterte weit die Straße hinunter. Als er zum Stehen kam, konnte Rünz nur noch die roten Rücklichter erkennen. Autotüren öffneten sich, Menschen stiegen aus. Er tastete hektisch mit klammen Fingern nach Breckers Bärentöter. Dann hörte er Schritte, Stiefel, die im Schnee knirschten, jemand näherte sich von unten. Wie ein Frettchen krabbelte Rünz umher und suchte nach dem Revolver, der Besucher kam näher, blieb zwei oder drei Meter vor ihm stehen, nur eine Silhouette gegen die roten Rücklichter des Geländewagens. Dann ein hohles metallisches Schleifen – ein Schalldämpfer, der auf den Lauf einer Automatikwaffe

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