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Titel: Binärcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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geschraubt wurde? Er keuchte, fand schließlich die Magnum, das eiskalte Metall schmerzte auf der Haut. Er entsicherte.
    »Hallo, können Sie mir helfen? Ich glaube, es hat meine Beine erwischt. Sie waren ganz schön schnell unterwegs .«
    Keine Reaktion. Wieder Metall auf Metall, direkt über ihm, der Verschlussschlitten, das Klacken einer Patrone, die über die Rampe ins Lager geschoben wird. Rünz hatte in über 20 Berufsjahren nie von Angesicht zu Angesicht auf einen Menschen geschossen, er hatte sich oft gefragt, ob er zu lange zögern würde, ob ihm in der entscheidenden Sekunde die Tötungshemmung einen Strich durch die Rechnung machen würde. Jetzt war es so weit, und er hatte ganz andere Sorgen. Mit seinem steifgefrorenen Zeigefinger musste er über sechs Kilogramm Abzugswiderstand überwinden, und für einen Schuss mit dem größten Revolverkaliber der Welt hatte er auf seinem Hintern sitzend ohne Rückenstütze und klammen Händen eine denkbar ungünstige Ausgangsposition. Er legte auf den Schatten an, nutzte die Linke als Stützhand unter den Griffschalen und zog mit dem Mut der Verzweiflung durch. Was dann passierte, übertraf all seine Befürchtungen – er fühlte sich, als hätte er die Karronade eines alten englischen Dreimasters aus der Hand abgefeuert. Eine meterlange Feuerfontäne brach aus dem kurzen Lauf heraus, für den Bruchteil einer Sekunde war der Wald um die beiden Kontrahenten herum taghell erleuchtet, im Schein der abbrennenden Pulverrückstände konnte er das verdutzte Gesicht des Angreifers sehen. Der Rückstoß war jenseits aller Vorstellungskraft, die Waffe schlug hoch, flog ihm fast aus der Hand, die Kimme traf seine Stirn, er wurde nach hinten auf die Fahrbahn geschleudert. Der Mündungsknall legte sein Gehör lahm, ein irrsinniges Pfeifen sprengte ihm fast den Schädel. Er roch verbranntes Fleisch und Haare. Auf dem Rücken liegend war er ein oder zwei Minuten bewegungsunfähig dem unerträglichen Dauerton in seinem Kopf ausgeliefert, dann ließ der Tinnitus etwas nach, er hörte seinen Gegner röcheln. Der Angreifer greinte wie ein Baby und torkelte bergab Richtung Auto. Seine Kameraden kamen ihm entgegen, stützten ihn und halfen ihm in den Wagen. Der Motor wurde angelassen, langsam rollte der Mercedes die Straße hinunter. Er hatte ihn nicht getroffen, das hatte er noch im Schein des Mündungsfeuers erkannt. Aber Breckers Bärentöter hatte ihm schwere Verbrennungen, einen Schock und ein verheerendes Knalltrauma bereitet. Er würde gute medizinische Betreuung brauchen, um zu überleben.

     
    Der Kommissar blies den Schnee aus Nase und Mund und unterzog seine Füße einem Tastbefund. Sie befanden sich beide noch an den Enden seiner Beine, damit waren die Mindestanforderungen für weitere Testreihen erfüllt. Er setzte sich auf, seine Fersen hielten einer leichten Probebelastung stand, also wagte er aufzustehen. Die Schmerzen waren erträglich, seine Winterstiefel hatten einen Teil der Aufprallenergie absorbiert, vielleicht hatte er sich nur ein paar Bänder gedehnt. Sein rechtes Auge war verklebt, warme Flüssigkeit lief ihm von oben in den Mundwinkel. Er tastete seine Stirn ab, die Kimme des Revolvers hatte ihm eine Platzwunde beigefügt. Mit einer Handvoll Schnee versuchte er, die Blutung zu stillen und den heißen Lauf der Smith & Wesson zu kühlen. Dann stand er auf, steckte die Handartillerie wieder in die Jackentasche und ging langsam die Serpentinen hinauf, immer darauf bedacht, nicht umzuknicken. Er hatte nach wie vor Ohrensausen, die Funktion seiner Gleichgewichtsorgane war beeinträchtigt. Nach zehn Minuten stand er keuchend auf der Anhöhe, ausgezehrt und erschöpft wie Shakleton bei der Ankunft auf Elephant Island.
    In den offenen Eingang der Sternwarte wehten dicke Flocken, der Betonboden war mit einem zentimeterdicken weißen Fell belegt. Die Lichtschalter funktionierten nicht. Er versuchte, sich den komplizierten Grundriss des Gebäudes in Erinnerung zu rufen, und arbeitete sich dem Lichtkegel seiner MagLite folgend im Erdgeschoss vor. Rünz kannte die Folgen von hemmungslosem Vandalismus, was er hier sah, war etwas anderes. Hier war das Chaos Resultat einer Suche, die die Zerstörung billigend in Kauf nahm. Aufgebrochene Türen, umgekippte Regale, ausgeleerte Schubkästen auf dem Boden, zerrissene Aktenordner und Fachliteratur. An drei Arbeitsplätzen standen Computer, deren Gehäuse demontiert waren. Rünz durchleuchtete die Innereien – Motherboards,

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