Binde Deinen Karren an Einen Stern
Schaffensdrang nie beirren. Noch als 80-Jähriger erklärte er: „Es ist unglaublich, wie viel der Geist zur Erhaltung des Körpers vermag. Ich leide oft an Beschwerden des Unterleibs. Allein der geistige Wille und die Kräfte des oberen Teils halten mich in Gange. Der Geist muss nur dem Körper nicht nachgeben.“ Hier zeigt sich eine große Nähe zum logotherapeutischen Geist-Begriff, man vergleiche dazu den „noo-psychischen Antagonismus“ nach Frankl! Auf ähnliche Weise lässt sich verstehen, wie es kam, dass Christian Morgenstern, der schon in jungen Jahren an Tuberkulose litt, immerhin ein Alter von 43 Jahren erreicht hat, was niemand ihm zugetraut hätte. Er überlegte sich, dass es vielleicht dieselbe Kraft sei, die, wie er sagte, ihn auf dem physischen Plan verlassen, aber geistig fortan sein Leben begleitet habe. Was sie ihm leiblich nicht habe geben können, habe sie ihm aus geistigen Welten geschenkt. Seine Dichtungen zeugen von Tapferkeit und unerschütterlichem Humor, nie büßte er seine seelische Stabilität ein. Ja, die großen Virtuosen können wie gesagt sogar einem angeschlagenen Instrument noch die herrlichsten Töne entlocken … Das Geistige im Menschen als das Nicht-krank-sein-Könnende kann sich bis zu einem gewissen Grad über den leider allzu anfälligen Teil unseres Menschseins erheben, kann noch mitten in Schmerz und Schwäche triumphieren. Kann, so unser Glaube, nicht einmal dem Tod anheimfallen, dessen Zugriff sich auf die vergängliche Materie beschränkt. Zerbrochene Instrumente gibt es genügend zu besichtigen in den Museen der Zeiten, zerbrochene Melodien – nicht dass ich wüsste.
Ich habe Goethe und Morgenstern zitiert. Aber auch in uns „kleinen Leuten“ sind kräftemäßige Reservoire angelegt, die gewöhnlich geschlossen sind. Sie öffnen sich urplötzlich, sobald ein starker „Sinnanruf“ aus einer bestimmten Situation heraus zusätzliche Kräfte erfordert. Im Dezember 1994 kam in England das vor der Gartentüre geparkte Auto eines Vaters ins Rollen, weil er vergessen hatte, die Handbremse anzuziehen. Das Auto rollte auf seine auf der Straße spielende Tochter zu. Der Vater bemerkte die sich zusammenbrauende Tragödie und rannte zum Wagen, als dessen Hinterrad soeben das Kleinkind erfasste. Er hob den rückwärtigen Teil des Autos hoch, wodurch das Kind gerettet wurde. Der Grund, warum dieser Vorfall damals durch die Presse ging, war der, dass man später feststellte: Der Mann konnte das Auto gar nicht heben! Es brauchte die Kraft von vier Männern, um den schweren Wagen vom Boden hochzuhieven. Die Erklärung ist einfach. Der „Sinnanruf“ der Situation hat eine geistige „Saite“ im Mann in Schwingung versetzt, seine Vaterliebe. Das hat physische Kräfte in ihm freigesetzt, die normalerweise nicht zur Verfügung stehen; Reservoirschleusen sind aufgesprungen. Frankl schrieb in den bereits erwähnten „Zehn Thesen über die Person“ u. a., dass der Mensch in seinem Gewissen „den Anruf der Transzendenz abhöre“. Na, wenn das kein gewaltiger Anruf ist? Ist auch die Liebe im Herzen einer Person gewaltig genug, bringt sie in derlei Extremmomenten mithilfe ihres leib-seelischen Instrumentes Leistungen zustande, die sich an der Grenze des Menschenmöglichen bewegen.
Gott und das Leid
Geistige Saiten im Menschen, die zum Schwingen gebracht werden können, sind zwischen ihm und Wertbezügen aufgespannt. Es können sehr verschiedene Werte sein, die für Menschen Bedeutung haben (was nicht ohne Konfliktpotenzial ist, zum Beispiel in Partnerschaften), wesentlich jedoch ist, dass stets mehrere Wertbezüge parallel existieren. Ein einziger wäre zu wenig. Bei seinem Wegfall fiele dieser Mensch tief. Und gar keiner wäre insofern fast tödlich, als das Wertevakuum seelische Krankheiten „ansaugt“ und körperliche Krankheiten verschärft.
In seiner Dissertation hat der junge Wissenschaftler Elmar Hartstock 1984 die Persönlichkeitsmerkmale langjährig abstinenter Alkoholiker mit den Persönlichkeitsmerkmalen von solchen, die sich gerade in Entwöhnungsbehandlungen befanden, miteinander verglichen. Unter vielen geprüften Parametern fand sich nur einer, der einen signifikanten Unterschied aufwies. Elmar Hartstock schrieb darüber in seinem Resumée: „Die Ergebnisse erhärten die Vermutung, dass langjährig abstinente Alkoholiker sich von anderen, die noch übermäßig trinken oder deren Trinkerei nicht allzu lange zurückliegt, in Hinsicht auf ihr persönliches
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