Binding, Tim
fischte
eine Handvoll heraus. Ich zeigte zu viel Interesse, aber was sollte ich machen?
»Sonst nichts. Bloß Eumel.«
»Klang sie wütend?«
»Nicht wütend. Eher so, als hätte sie gelacht oder geweint,
war schwer zu sagen bei dem Wind.«
Da hatten wir's wieder. Ich hätte es auch nicht sagen
können. Aber sie war auf jeden Fall aufgewühlt gewesen.
»Ist schon komisch, ein Wort wie Eumel einfach so zu
sagen, oder?«
»Find ich nicht. Sie kriegt eine SMS von irgendeinem
Idioten, ärgert sich drüber, nennt ihn einen Eumel.«
»Nicht zwangsläufig ein Er, oder?«
Sie rümpfte die Nase. »Seien Sie nicht albern, Mr
Greenwood. Alle Typen sind Eumel, irgendwie, wenn man an der Oberfläche kratzt,
wussten Sie das nicht?« Sie saß jetzt kerzengerade, hatte wieder dieses
Funkeln.
»Und der Polizei hast du nichts davon erzählt.«
»Wieso auch? Die haben nach Miranda gesucht. Ich wusste,
dass es nicht Miranda gewesen war.«
»Und du hast sie nicht zurückkommen sehen.«
»Nein. Ich bin kurz danach nach Hause. Aber wieso interessieren
Sie sich eigentlich so dafür?«
Ich zuckte die Achseln, blickte auf den Tisch. Zeit, den
Rückzug anzutreten und die Mitleidsnummer abzuziehen.
»Ich weiß, es ist blöd, aber manchmal versuch ich, mir was
in die eigene Tasche zu lügen, dass Miranda in Wirklichkeit gar nicht tot ist,
dass sie vielleicht doch die Frau war, die du gesehen hast, dass Audrey sie gar
nicht getötet hat, dass sie irgendwie in ein besseres Leben geflüchtet ist.
Schließlich wurde ihre Leiche nie gefunden. Und es passieren nun mal Fehler.«
Meine Stimme erstickte. Es war nur zum Teil gespielt. Im Gefängnis hatte ich
mir öfter genau das zurechtgedacht. Mary legte ihre Hand auf meine. Sie mochte
ja im Laufe der Jahre verblüht sein, aber ich konnte ihre verlorenen Jahre
trotzdem noch unter ihrer Haut spüren. Vielleicht würde doch noch ein Soldat
auftauchen. Vielleicht auf einem Pferd. Vielleicht auf einem Panzer.
Vielleicht wäre es auch gar kein Mann.
»Na, das alles ist ja nun lange her«, sagte sie, um mich
aufzuheitern, und rieb mir über die Fingerknöchel. »Sie sind bestimmt ganz
aufgeregt.«
»Aufgeregt?«
»Sie nach all den Jahren wiederzusehen.« Sie sah auf ihre Uhr.
»Sie sind ein bisschen spät dran, nicht, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein,
wenn der Sieben-Uhr-Vierziger kommt. Es ist schon halb acht durch.«
»Ich fahr nicht mehr Taxi, Mary.«
»Das weiß ich doch, aber ist das nicht der Zug, mit dem
Carol kommt? Sie fragt sich bestimmt, was ...« Sie sah meinen Gesichtsausdruck.
Ihre Hand flog hoch vor ihren Mund. »Ach du Schande. Es sollte eine
Überraschung sein. Sie hat gesagt, ich soll Ihnen nichts sagen, und jetzt hab
ich alles verpatzt. Bitte, verraten Sie mich nicht, MrGreenwood. Sie bringt
mich um. Bitte ...«
Aber den Rest hörte ich nicht mehr. Ich war schon halb zur
Tür raus. Carol war auf dem Weg von London hierher. Und Robins Scrabble-Set lag
aufgeklappt auf dem Tisch.
Ich rannte zurück zum Bungalow. Marys Uhr ging falsch,
aber leider nach. Es war schon zehn vor acht. Carol würde jeden Moment zur
Haustür hereinspaziert kommen. Ich packte das Scrabble-Set zusammen und stopfte
es unter die Matratze in meinem Schlafzimmer. Später, wenn die Luft rein war,
würde ich es wieder in der Garage verstecken. Ich ging zurück ins Wohnzimmer,
schlug ein paar Kissen auf, versuchte, nicht dran zu denken, konnte aber nicht
aufhören. Vielleicht würde ich es doch für immer verschwinden lassen, mir ein
Boot mieten, das Set über Bord werfen, wie ich es schon Vorjahren hätte tun
sollen. Hatte ich es bis dahin auch gut versteckt? Ich ging noch mal ins
Schlafzimmer, um nachzusehen, ob es auch nicht hervorlugte. Ich war sicher, an
der Stelle, wo es lag, eine kleine Beule zu sehen. Was, wenn sie aus
irgendeinem Grund hier reinkam und sich genau da aufs Bett setzte, würde sie es
dann spüren? Ich setzte mich. Und ob sie es spüren würde, und dann würde sie
die Matratze anheben und ...
Ich merkte, wie mir der Schweiß ausbrach. Ich musste ein
besseres Versteck finden, und zwar schnell. Doch das war leichter gesagt als
getan. Wohnzimmer, Gästezimmer, Badezimmer, nichts kam infrage. In der
Wäschekammer lagen nur ein paar Laken, der Bücherschrank war fast leer, und um
es in der Jumbo-Packung Cornflakes zu verstecken, hätte ich wirklich einen an
der Waffel haben müssen. Zwei Minuten nach. Sie müsste längst da sein. Ich
sprang im Bungalow von einer Ecke zur anderen wie
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