Binding, Tim
knabbern Sie Tonto an.«
Sie nahm ihn, eine knochige Hand an dem gezackten Schaft,
die andere um das Ende gelegt. Ich konnte sehen, wie die Spitze sich in ihre
Handfläche grub.
»Er ist ganz kalt«, beklagte sie sich.
»Na, dann wärmen Sie ihn doch ein bisschen auf.«
Sie schloss die Augen, versuchte, ein Stück abzubrechen.
Es würde nicht so einfach sein.
»Ich schaff es nicht, Al. Er ist steinhart gefroren.« Sie
schlug ihn ein paarmal auf den Tisch. Nichts geschah.
»Da«, sagte ich. »Damit kriegen Sie ihn kürzer.«
Ich reichte ihr das Beil. Sie testete die Schneide mit dem
Finger, vollführte dann ein paar Übungshiebe, wie eine Golferin, die sich auf
einen Schlag vorbereitet. Dann, urplötzlich, riss sie den Arm über den Kopf
nach hinten und stieß dabei einen Schrei aus, als hätte ich ihr fest in den
Bauch gepikst. Ich weiß nicht, was der Grund war. Vielleicht war der Griff ein
bisschen glitschig, vielleicht hatte sie bei dem Versuch, Tonto durchzubrechen,
etwas Kraft in der Hand verloren, jedenfalls, das Beil rutschte ihr weg und
flog in hohem Bogen mit etlichen Purzelbäumen, wie Häuptling Hiawathas Partytrick,
durch die Luft, durch die Scheibe des Wintergartens hinter uns, direktemang in
meinen Hai hinein und erwischte ihn zwischen den Augen. Ich meine, es war
sagenhaft. Eben noch hatte er ungefähr so grimmig ausgesehen wie ein Teddybär,
der auf seinen Schlummerkakao wartet, und schwups war er wieder der Killer,
als den man ihn fürchtet, schielte mit seinen bösen kleinen Augen auf den
Griff, der über seinem mörderischen Maul aufragte. Apropos räumliches
Vorstellungsvermögen: Dem Scheißkerl war sein Vorstellungsvermögen soeben
geradewegs ins Hirn gehackt worden.
Alice wollte das Beil wiederholen, doch ich hielt sie zurück.
Nicht, dass sie mir das ruinierte.
»Jetzt hilft nur noch eins. Darf ich?«
Ich nahm ihr den kleinen Fes vom Kopf, legte ihn umgedreht
auf den Boden, unter die Tischkante. Ich schmiss die Kettensäge an und trat
näher. Tonto zitterte.
»Halten Sie ihn still, Alice, und passen Sie auf Ihre Finger
auf. Jetzt wird gemetzelt.«
Alice kippte sich einen Wodka auf ex rein und schob das erste
Stück über die Kante. Ich drückte den Abzug, senkte das Sägeblatt, sah zu, wie
Tonto Stück für Stück in Mrs Bs Hut fiel. Kein Wunder, dass früher die Frauen
an der Guillotine saßen, strickend und schwatzend. Es war total befriedigend,
ihn so zurechtzustutzen, mit solcher Bestimmtheit. Nach fünfzig Sekunden waren
wir mit ihm fertig. Der würde dem Lone Ranger keine pampigen Antworten mehr
geben.
Ich stellte den Hut auf den Tisch. Wir mampften ein paar
Stücke. Sie schmolzen rasch. Nach einer Weile holte ich die Pinsel und die
Dosen mit roter und weißer Farbe. Alice zeichnete die Muster, und ich malte sie
aus. Nach anderthalb Stunden waren wir fertig. Mein erstes richtiges Werk. Er
sah jetzt nicht mehr wie ein Biber aus, eher wie ein Fisch mit Gewichtsproblemen,
aber das kommt bei Kois schon mal vor, wenn sie zu viel fressen und nicht genug
Platz im Teich zum Herumschwimmen haben, und seien wir ehrlich, der hier war
überhaupt noch nie geschwommen.
»Was meinen Sie, für wie viel der weggeht?«, fragte ich
Mrs B. Sie legte den Kopf schief.
»Die ersten sollten Sie nicht verkaufen, Al, nicht sofort,
nicht, solange Sie noch Techniken ausprobieren, die Grenzen der Wahrnehmung
erkunden. Behalten Sie sie lieber noch, denn später, wenn Ihr Werk bekannter
geworden ist, werden sie Sammlerstücke und steigen deutlich im Wert.«
Sie lehnte sich zurück. Wir schauten zu, wie die Sonne
unterging.
Toblerone-Stücke, ein paar Gläschen Stolichnaya, der eine
oder andere Joint.
Gar nicht so schlecht, das Künstlerleben.
NEUN
I ch besorgte Brötchen für Carol,
auch was zum Mittagessen, aber sie kam nicht. Ein bisschen rücksichtslos,
dachte ich, alles in allem. Ich konnte ja verstehen, dass sie sich mit ihren
Freundinnen amüsieren wollte, nachdem sie sie zwölf Jahre nicht gesehen hatte,
aber es wäre doch wirklich nicht zu viel verlangt gewesen, kurz zum Telefon zu
greifen und Bescheid zu sagen. Als sie noch hier lebte, hatte sie so was nie
gemacht, aber genau das meinte ich. Sie hätte ruhig ein bisschen Verständnis
zeigen können, wie ich versuchen können, Wunden zu heilen, die Vergangenheit
hinter uns zu lassen. In unseren Adern floss nun mal das gleiche Blut, ob es
ihr passte oder nicht.
Auch Michaela machte sich rar. Vielleicht wartete sie auf
einen
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