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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischnapping
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An
seinem Anlegesteg, der ins Meer ragte, lagen alle möglichen Ruder- und
Tretboote vertäut. Das Meer war ruhig und blau, kleine Wellen kitzelten den
Sand, genau wie es sein sollte. Wie geschaffen für Kinder, diese Strände,
Eimerchen und Schäufelchen und Drachen, die flatternd vom Sand aufsteigen.
Damals, als Mum und ich wenn möglich jeden Tag zum Strand gingen, hatte ich
immer so eine kleine grüne Gießkanne dabei, baute mir einen kleinen Garten aus
Muscheln und Seetang und goss ihn genau wie Mum ihren Garten zu Hause. Wenn es
richtig heiß war und alle in der Sonne dösten, füllte ich die Kanne und suchte
mir irgendwelche Opfer, schlich mich ganz leise ran und goss ihnen Wasser auf
den Bauch. Sie fuhren hoch wie von der Tarantel gestochen. Das ging höchstens
zwei-, dreimal am Tag, sonst hätte Mum sich haufenweise Beschwerden eingehandelt,
aber Mensch, was mussten wir lachen.
    Michaela stand mit einer Hand am Hut am Ende des Anlegestegs,
ihr Strandmantel flatterte in der Brise und offenbarte den weißen Einteiler, den
ich über dem Schlafzimmerspiegel hatte hängen sehen. Sie winkte mich zu sich.
Ich ging den Steg entlang, vorbei an zwei Klassefrauen, die gerade in einen
kleinen Zweisitzer einstiegen. Früher hätte ich meinen ganzen Charme spielen lassen,
sie zu einem Törn um die Bucht eingeladen, wo immer ihr hinwollt, ihr Süßen,
aber heute achtete ich kaum auf sie. Außerdem hatten sie nur Augen für
Sonnyboy, den Bootsverleiher, gebräunte Haut, gegelte Haare und Goldring im
Ohr. Ich liebe solche windigen Typen mit Ring
im Ohr. Wenn du mit denen Krach kriegst, ist das die erste Maßnahme. Den Ring
rausreißen, schön fest. Bei dem ganzen Blut, das dann fließt, denken sie, du
hast ihnen die Gurgel durchgeschnitten. Können nicht mehr klar denken. Aus und
vorbei. Michaela wippte mit dem Fuß.
    »Alles geregelt?«, fragte ich.
    »Fünfzehn Pfund«, sagte sie. »Für den ganzen Tag. Schönes
Schnäppchen, findest du nicht?«
    Ihre Hand lag auf einem Tretboot, als wäre sie Kleopatra
und das Strampelding die Familienbarke. Einfach unfassbar.
    »Sehr hübsch. Hättest du nicht was Unauffälligeres ausleihen
können?«
    »Wieso, was ist daran auszusetzen?«
    »Es hat vornedran einen zweieinhalb Meter großen Schwan,
das ist daran auszusetzen. Von allen Tretbooten im Angebot hast du dir
ausgerechnet das einzige ausgesucht, das förmlich die Blicke anlockt. Wir
könnten uns ruhig auch noch ausziehen und splitternackt herumstrampeln, wo
wir sowieso schon angestarrt werden.«

»Es war das einzige, das frei war«, sagte sie. Sie
schlüpfte aus ihrem Strandmantel und kletterte an Bord. »Legen wir ab?«
    Das einzige, das frei war. Ich glaubte ihr kein Wort. Ich
war an einem halben Dutzend unbesetzten Booten vorbeigekommen. Und dann
begriff ich. Natürlich hatte sie so eins gemietet. Natürlich wollte sie im
Schwan-Mobil ankommen. Sie wollte, dass man uns bemerkte. Besser gesagt, sie
wollte, dass man mich bemerkte. Ich meine, wer würde sie schon identifizieren
können, mit so einem Hut und so einer Sonnenbrille? Ich dagegen war glasklar im
Bild. Klick, klick, klick. Deshalb sollte ich auch noch das knallige
Kitsch-T-Shirt tragen. Deshalb trieb sie es bei jeder Gelegenheit wie wild mit
mir, machte mir systematisch das Hirn weich. Die ganze Sache war eine Falle.
Ich würde den Fisch stehlen, und ich würde geschnappt werden. Das hier war
Audreys Rache, und Michaela tat ihr einen letzten Gefallen, bevor sie wieder
nach Südafrika abhaute. Die Kreuzfahrt! Es würde ganz sicher eine Kreuzfahrt
geben, aber ganz sicher nicht nach Rio und ganz sicher nicht mit mir. Sondern
nach Durban, vielleicht mit Gib's-mir-Nelson an Bord, mit ausgefahrenem
Teleskop.
    Ich stellte die Kühlbox in die Lücke zwischen uns und
setzte mich auf die rechte Seite. Rudolph Valentino kam in seinen
Schaftstiefeln angeschlendert, eine Hand lässig auf der Hüfte. Er zwinkerte
Michaela zu, stieß uns dann an.
    »Gute Fahrt über den Schwanensee«, sagte er zu mir. Ich
hätte ihm auf der Stelle den Ring rausreißen sollen.
    Ich weiß ja nicht, wie viele von Ihnen schon mal Tretboot
gefahren sind, aber die Dinger sind nicht fürs offene Meer gebaut. Genau
genommen sind sie für gar kein Meer gebaut, bloß für Wasser, aus dem Bewegung
jedweder Art entfernt wurde, kastriertes Wasser, wenn man so will, zum Beispiel
ein stinkender Teich oder ein anämischer See. Wenn man da in ein Tretboot
steigt, hey, dann flitzt es so mühelos dahin wie die Cutty

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