Bindung und Sucht
Erscheinungen, Opferfixierung und »weiche« Drogen bei Frauen. Zahlreiche Studien belegen diesen Zusammenhang.
Ein Trauma fixiert daher Frauen leicht in der nahegelegten Rolle als Objekt und Opfer, stellt die Identität von Männern dagegen in der Konfrontation mit dem Opferstatus gravierend in Frage. Männliche Traumaopfer sind daher häufig bemüht, trotz gegenteiliger Impulse die »Normalität« nicht zu verlassen und damit verstärkt geschlechtstypischen Rollenanforderungen zu genügen. Für viele Betroffene entsteht hier ein Teufelskreis, der lebenslang nicht mehr durchbrochen werden kann und in eine chronische Abwärtsspirale führt. Hier ist es die Aufgabe psychosozialer Hilfsangebote, Möglichkeiten einer aktiven Auseinandersetzungmit dem Geschehenen zu eröffnen. Eine Verarbeitung der Gewalterfahrung im Bereich komplexer Traumata und Suchtproblematiken ist jedoch für Männer wie Frauen nur auf der Basis einer stabilen professionellen Beziehungsgestaltung und über eine Reihe integrierender emotionaler und kognitiver Restrukturierungsprozesse möglich (vgl. international etablierte Modelle wie z. B. Lebowitz et al. 1993).
Als Ziel therapeutischer Traumaarbeit formulieren Reddemann und Sachsse (2000) eine Integration der defragmentierten Kognitionen, Affekte, Bilder und Körpersensationen. Die verschiedenen Komponenten scheinen den beiden Geschlechtern jedoch unterschiedlich zugänglich zu sein. Auf den ersten Blick scheinen Frauen dabei Männern im Sinne einer reflexiven Aufarbeitung »einen Schritt voraus« zu sein. Es gelingt ihnen zunächst besser, die Gefühle und Folgeerscheinungen der Traumatisierung wahrzunehmen und sich damit in Behandlungsbeziehungen zu begeben, während Männer ausgeprägter in der Verleugnung verharren. Die Wahrnehmung des eigenen Leidens ohne die entsprechenden Strategien und Möglichkeiten, daraus wieder gestärkt hervorzugehen, führt jedoch auch bei Frauen nicht selten zu einer malignen Fixierung auf den Opferstatus und einer zu sensitiven Verarbeitung. Während Männer also tendenziell in der Vermeidung und repressiven Emotionsverarbeitung »stecken bleiben«, kommt es bei Frauen häufig zu einer Blockierung in einer symptomreichen Opferhaltung, die die Bewältigung auch für sie verkompliziert.
Interessanterweise wird diese maligne Geschlechtsrollenfixierung in der weiteren Verarbeitung des Traumas häufig – in Therapieprozessen, jedoch auch anderen verarbeitungsunterstützenden Settings – durchbrochen. Während Männer an diesem Punkt berichten, an Durchlässigkeit für Gefühle und emotionaler Schwingungsfähigkeit zu gewinnen und den Opferstatus besser anerkennen zu können, sprechen Frauen davon, Durchsetzungsfähigkeit, Entschlossenheit und kognitive Bewältigungsmechanismen zu entwickeln, letztlich die überwältigenden Gefühle »in den Griff« zu bekommen. Männer eignen sich daher in diesem Moment eher weiblich besetzte Fähigkeiten und Verhaltensweisen wie den Zugang zu Gefühlen, Schutzbedürfnissen und Verletzlichkeiten an, während Frauen die Fixierung auf den Opferstatus aufgeben und bewusst Fähigkeiten wie Kampfgeist und Rachegefühle, jedoch auch problemlösende Strategien und Abgrenzungsfähigkeiten entwickeln. Diese konstruktive Wendung reduziert die geschlechtstypische Aufteilung in eine Ungleichzeitigkeit und letztendlich eine geschlechtsübergreifende Bemühung, beide Extreme im Verarbeitungsprozess zu integrieren (siehe Abb. 2).
Insbesondere nach tiefgreifenden Traumata ist die Verfügbarkeit aller erdenklichen Verarbeitungsstrategien offenbar von so großer Bedeutung, dass eine gewisse Loslösung von typischem Rollenverhalten »heilsam« wirkt. »Geschlechtskonstruktionen und -dekonstruktionen erweisen sich damit … als ein komplexes Phänomen im Prozess der Aufarbeitung« (Gahleitner 2005 b, S. 282) und haben daher für Therapie und Beratung große Bedeutung.
Abb. 2: Modell der geschlechtsspezifischen Aspekte bei der Traumabewältigung (in Anlehnung an Gahleitner 2005 b, S. 283)
Zum Beispiel: Frau Cirillo und Herr Belgard 2
Frau Cirillo ist 36 Jahre alt, arbeitet als Medienexpertin bei einer Zeitung und lebt seit einigen Jahren mit ihrer Lebenspartnerin zusammen. Sie wuchs als Einzelkind in einer Kleinstadt bei den leiblichen Eltern auf. Frau Cirillo wurde von früher Kindheit an bis ins Jugendlichenalter vom Vater sexuell missbraucht. 21 Jahre später sprach Frau Cirillo das erste Mal mit einer Therapeutin über die Übergriffe. Bis
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