Bindung und Sucht
Ausdehnung der sozialen Netze (Ladd & Pettit 2002). Eine wichtige Entwicklungsaufgabe dieser Jahre besteht darin, Peerbeziehungen einzugehen und wechselseitige Freundschaften zu begründen (Sroufe et al. 1999). Vor allem können die nunmehr 10- bis 12-Jährigen inzwischen zielgerichtete Strategien einsetzen, um Peerbeziehungen zu wahren und Konflikte mit Gleichaltrigen zu bewältigen, ohne dass die Erwachsenen eingreifen müssten (Parker & Gottman 1989). Kinder, denen es schwerfällt, Beziehungen aufrechtzuerhalten und kooperativ mit Gleichaltrigen umzugehen, laufen Gefahr, sowohl jetzt als auch später in alle möglichen Schwierigkeiten zu geraten (Parker & Asher 1987; Parker et al. 2006). Zahlreiche Studien über Peerbeziehungen in der frühen bis mittleren Kindheit verweisen darauf, dass Kinder in sehr unterschiedlichem Ausmaß von den Gleichaltrigen akzeptiert werden (z. B. Hymel et al. 1990): Manche Kinder erleben sich als gut angenommen und erfreuen sich großer Beliebtheit, während andere relativ isoliert sind und keine Sympathie erfahren. Diese individuellen Unterschiede in der Interaktion mit den Gleichaltrigen bleiben über die Jahre der Kindheit hinweg relativ stabil und sind maßgeblich für die Herausbildung der späteren sozialen Kompetenz (Hartup 1983, 1996).
Zwei miteinander zusammenhängende Aspekte der Beziehungen unter Gleichaltrigen, die große Bedeutung für die aktuelle wie auch für die spätere Entwicklung haben, sind das Bullying und das Viktimisieren, also das aktiv betriebene und das passiv erlittene Belästigen und Quälen. Bullying ist ein ernsthaftes Problem, das in den zurückliegenden Jahren eingehend erforscht worden ist (z. B. Olweus 1995, 1996; Pepler et al. 2008; Smith et al. 1999; Solberg & Olweus 2003). Es handelt sich um eine Art der Aggression (ein vorsätzliches Handeln mit dem Ziel, das Gegenüber zu kränken, zu schädigen oder zu verletzen; Dodge et al. 2006), die vielfach wiederholt wird und für die ein Ungleichgewicht an Stärkeoder Macht zwischen den Beteiligten kennzeichnend ist (Olweus 1994; Pepler et al. 2008; Vaillancourt et al. 2008). Als spezifischer Kontext einer negativen Beziehung, in dem offen Aggressionen gezeigt werden, kann das Bullying verbale, körperliche oder relationale – auf den Bereich der Beziehungen zielende – Erscheinungsformen annehmen (Crick & Grotpeter 1995; Olweus 1994; Pepler et al. 2008). Bullying wird oft im Sinne eines Kontinuums – von Abstufungen – begriffen, d. h. in der Erkenntnis, dass Kinder in unterschiedlichem Ausmaß in dieses Verhalten eingebunden sein können: als Täter, als Opfer, als sogenannte »Bully-Victims« (die beide Rollen verkörpern), als Zuschauer oder als Nichtbeteiligte (Espelage & Swearer 2003). An diesem dimensionalen Verständnis wird deutlich, dass das Bullying von der bisherigen Forschung nur teilweise mit der üblichen körperlichen und relationalen Aggression gegenüber Peers gleichgesetzt wird (Pepler et al. 2008). Mit anderen Worten, Bullying birgt zwar immer ein aggressives Element, unterscheidet sich von der körperlichen Aggression aber vielleicht insofern, als es am häufigsten in der Form der verbalen Aggression und als Hänseln auftritt (Eder 1995) und dem Ziel dient, den Status des Täters in der Peergruppe zu erhöhen (Espelage et al. 2003). Es gibt nur wenige Längsschnittuntersuchungen, die sich mit den entwicklungspsychologischen Vorläufern des Bullying befassen (siehe Long & Pellegrini 2003; Pepler et al. 2008), und nach unserer Kenntnis keine einzige prospektive Untersuchung zum Bullying-Verhalten von Kindern, die – wie die Kinder von Alkoholikern – in Gefahr sind, eine fehlangepasste Entwicklung zu nehmen.
Bullying ist insbesondere für die Kinder von Alkoholikern von Belang, weil solche Kinder, wie aus zwei prospektiven Studien hervorgeht, nicht den für aggressives Verhalten üblichen Entwicklungsweg nehmen. Kinder von Alkoholikern haben z. B. ein erhöhtes Aggressionsrisiko im Kleinkind- und frühen Vorschulalter (Edwards et al. 2006 a), und dieses Risiko setzt sich in die frühen Schuljahre hinein fort (Loukas et al. 2001, 2003). Wenn die soziale Welt sich dann in den Jahren der mittleren Kindheit stärker um die Peerfiguren dreht, kann sich die unter Kindern von Alkoholikern beobachtete ausgeprägtere Aggressivität gezielter gegen die Peers richten und als Bullying manifestieren. Um das sechste Lebensjahr herum haben diese Kinder nach dem Bericht der Eltern auch eine
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