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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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verkaufte, und ihr Liebhaber Schtik, der schon seit vielen Jahren an einem Roman über ein Zauberreich der Ziesel arbeitete. Lena hörte ihn allerdings immer nur Puschkin-Gedichte rezitieren.
    Mila hatte im Kampf gegen Teofil Karnickel einen unschlagbaren Trumpf in der Hand, sie war vor langer Zeit seine Studentin gewesen. Außerdem hatte sie überall ihre Informanten und konnte in Sekundenschnelle über jeden alles Mögliche herausfinden.
    Eines Abends, als der Professor seine Ladenhüter wieder in die Kisten einräumte, fragte Mila:
    »Herr Karnickel, stimmt es eigentlich, dass Sie sich selbst diesen Namen gegeben haben?«
    »Das geht dich einen Scheißdreck an«, antwortete Karnickel knapp und unfreundlich.
    »Was gab es denn gegen den Namen Stutenschwanz einzuwenden?«
    Teofil Karnickel sank noch mehr in sich zusammen und sein von Natur aus dunkler Teint wurde dunkelviolett.
    »Namen sind Schall und Rauch«, brummte er, »aber du wirst das nie verstehen. Sonst würdest du deine Möpse nicht in die Kamera halten.«
    Milas Filmkarriere gründete auf Auftritten in Sexszenen, worauf sie jedenfalls sehr stolz war.
    »Wenn meine Brüste nicht wären«, sagte sie, »würden wir immer noch in der Sowjetunion leben! Ich habe den Film revolutioniert! Vor mir ging es nur um das Gewissen und die Pflichten gegenüber der Partei! Aber wem erzähle ich das! Sie, Herr Teofil, haben ja noch nicht einmal geküsst!«
    Eines Tages brachte sie ihre alten Mitschriften aus den Teofil Karnickel-Vorlesungen mit und veranstaltete eine öffentliche Hinrichtung. Der Professor erlitt beinahe einen Herzinfarkt. Mila kletterte auf ihr Regal mit dem »Kristallglas« und verlas Auszüge.
    »Am 23. April 1616 starb der englische Schriftsteller William Shakespeare. Am gleichen Tag im Jahre 1616 starb auch der spanische Schriftsteller Miguel de Cervantes Saavedra. Und jetzt kommt’s! Am 23. April 1616 starb auch der peruanische Schriftsteller Garcilaso de la Vega. Aus diesen Fakten folgere ich, dass alle drei in Wirklichkeit ein und dieselbe Person waren.«
    Die Marktverkäufer brachen in schallendes Gelächter aus. Mila machte eine bedeutungsschwere Pause und fragte Karnickel:
    »Hochgeschätzter Herr Professor, antworten Sie bitte dem nicht weniger geschätzten Publikum, anhand welcher Fakten sind Sie zu diesem genialen Schluss gekommen?!«
    »Ich kann es erklären«, stammelte der Professor, aber niemand hörte ihm zu.
    »Mit Verlaub, ich lese weiter«, rief Mila, »in diesem Heft steht so viel Interessantes! Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus! Besonders gut gefällt mir die Stelle mit den Ungeheuern.«
    Die Menge aus gelangweilten Verkäufern umringte Mila, als würde sie gratis Wurst verteilen.
    »In Ihrer fünften Vorlesung«, fuhr Mila fort, »behaupten Sie, Herr Teofil Karnickel, dass Monster, ich zitiere, ›Fehler der Natur‹ sind. ›Die Natur irrt sich und teilt einem Lebewesen zu viel oder zu wenig Materie zu. Ein Zuviel heißt, dass ein Fohlen zum Beispiel mit zwei Köpfen geboren wird. Ein Zuwenig bedeutet, dass ein Kind zum Beispiel ohne Arme und Beine zur Welt kommt. In diesem Fall sind die Eltern der Chimäre normal.‹ Hat das so seine Richtigkeit, Herr Professor?«
    Der Herr Professor holte eine Flasche mit Wodka aus seiner Kunstlederaktentasche und kippte ihn in sich hinein. Mila wertete das als ein Ja.
    »So, weiter geht’s. Das, was danach kommt, gefällt mir noch besser: ›Aber in der Welt gibt es auch Ungeheuer, über deren Eltern nichts bekannt ist. Oder bei denen die Eltern und die ganze Familie Monster sind. Das sind Drachen, Elapidae, Basi… Basilisken und andere wilde Tiere Afrikas und Libyens. Dann gibt es noch Pygmäen, die 20–30 Zentimeter groß sind, und Riesen, welche die Bibel als ›riesige Fleischtürme‹ bezeichnet.‹ Passt das so, Herr Professor? Habe ich da nichts verwechselt?«
    »Passt alles! Weiterlesen!«, rief das aufgeheizte Publikum an seiner Stelle.
    »Weiter zählen Sie, Herr Teofil, die folgenden Ungeheuer auf. Lieber Gott, hilf mir, das auszusprechen! Skia… poden!«
    »Skiapoden«, wiederholte Karnickel kleinlaut.
    »Das sind Ungeheuer, die aus lauter Unterschenkeln bestehen. Über die Langohren ist nur bekannt, dass ihre Ohren bis zu den Beinen herunterhängen, dass sie sich auf eines ihrer Ohren drauflegen und sich mit dem anderen zudecken«, Mila wurde immer lauter, »Ari… maspen«.
    »Arimaspen.«
    »Nicht unterbrechen, Herr Professor, ich kann lesen! Arimaspen haben

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