Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
Vom Netzwerk:
kaufen konnte. Hawrylko war für die Maschinen zuständig. Er mietete einen alten Traktor und pflügte den Acker um, so gut er konnte.
    Die ganze Familie half beim Säen mit.
    »Du musst die Erde schön mit den Füßen festdrücken«, kommandierte Lenas Vater, »damit die Samen tief in der Erde stecken, sonst geht die Saat nicht auf.«
    »Wer soll Buchweizen fressen, bitte schön?«, maulte Hawrylko. »Das frag’ ich mich schon die ganze Zeit. Wir sollten lieber Bohnen anbauen, die kann man wenigstens statt Fleisch essen. Wegen dem Eiweiß. Aber Buchweizen? Was kann der Buchweizen? Das ist kein Essen, das ist entwürdigend.«
    »Was weißt du schon«, widersprach Lenas Vater, der frischgebackene Geschäftsmann, »Buchweizen war vor der Kartoffel da, alle haben ihn gegessen und alle sind hundert Jahre alt geworden. Und schau dich jetzt um, die Kinder wollen nur Chips fressen, die reinste Chemie.«
    »Und was willst du machen? Ihnen statt Chips deinen Buchweizen in den Rachen stopfen?«
    »Ich hab da so ein paar Ideen, mach du dir einfach keine Sorgen.«
    Erstaunlicherweise ging der Buchweizen tatsächlich auf, und nicht nur das, er blühte sogar! Das Feld war weiß bis zum Horizont. Lenas Vater strahlte siegesgewiss und die Mutter stolzierte durch das Blütenmeer wie ein Pfau. Hawrylko erzählte allen im Dorf, es sei seine Idee gewesen, zu den Wurzeln zurückzukehren. Vor lauter Freude hörte er sogar mit dem Trinken auf. Er bereitete sich auf eine Zukunft als reicher Mann vor.
    Die Leute aus dem Dorf kamen, um sich das Feld anzusehen.
    »Gratulation«, sagten sie zu Lenas Vater, »endlich weht ein frischer Wind im Dorf. So kommen wir wieder auf die Beine, jetzt ist das sowieso kein Leben. Das ist ein tüchtiger Bauer! Schau dir seinen Buchweizen an! Die reinste Augenweide!«
    »Wartet erst, bis wir so richtig durchstarten«, antwortete Lenas Vater, »dann könnt ihr mir sagen, wie tüchtig ich bin. Dieses Jahr stecken wir die ganzen Einnahmen in die Expansion und in neue Maschinen. Im nächsten schauen wir uns dann nach einem Büro um, damit das Management – also ich – dort sitzen kann. Dann stelle ich diplomierte Landwirte ein. Später starte ich vielleicht noch eine eigene Wurstproduktion. Da machen wir dann unsere traditionelle Buchweizenblutwurst. Und dass mir niemand sagt, Buchweizen ist keine Wurst. Ihr wollt Wurst haben? Da habt ihr eure Wurst.«
    An schönen Tagen saß Lenas Vater auf dem Balkon, trank sein Bier und sagte:
    »Liebe Sonne, scheine schön auf meinen Buchweizen.«
    Wenn es regnete, sagte er:
    »Lieber Regen, gieß schön meinen Buchweizen.«
    Er freute sich wie ein kleines Kind.
    Im August sollte der Buchweizen geerntet werden. Lenas Vater hätte beinahe keine Mähmaschine aufgetrieben, denn die beiden letzten, die es in der ganzen Region noch gab, waren jahrelang nicht mehr im Einsatz gewesen und rosteten vor sich hin. Als er beginnen wollte, händisch zu mähen, informierte ihn irgendwer, dass der Buchweizen das nicht verträgt. Er sei nicht wie Heu, das ganze Korn würde auf den Boden fallen. Also mussten die Mähmaschinen repariert werden, und Lenas Vater lieh sich dafür Geld von den Großeltern. Sie hatten es fürs Begräbnis angespart.
    Lena war den ganzen Juli über mit ihren Aufnahmeprüfungen beschäftigt und über das Familienbusiness nicht auf dem Laufenden. Sie warnte ihren Vater nur:
    »Schau, dass du den Buchweizen rechtzeitig mähst, sonst rieselt dir die ganze Ernte weg.«
    »Kümmere dich um dein Studium«, antwortete Lenas Vater, »und mach dir um meinen Buchweizen keine Sorgen«, und er setzte bei dieser Gelegenheit nach: »Du solltest dich an der Uni vielleicht wirklich für Wirtschaft bewerben, dann könntest du mir bei meinem Business helfen. Wenn das Geld zu fließen anfängt, kannst du das Ganze dann richtig abwickeln. Also Steuern hinterziehen, die Mitarbeiter schwarz auszahlen, aber so, dass es mit der Buchhaltung zusammenpasst.«
    »Du kannst jemanden einstellen«, sagte Lena, »ich werde Philosophin. Das kann ich mir noch am ehesten vorstellen.«
    Aber die Sache mit der Philosophie lief von Anfang an in die falsche Richtung. Beim Eignungstest wurde Geschichte abgefragt, ein Fach, mit dem Lena schon in der Schule Probleme gehabt hatte. Sie neigte dazu, Ereignisse hinzuzudichten und zu verdrehen. Ihre eigene Meinung darzulegen. Leider stellte sich heraus, dass die Professoren ausschließlich genaue Jahreszahlen und die Namen der Hetmans in chronologischer

Weitere Kostenlose Bücher