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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Karnickel missbilligend, als Lena ihm den Notgroschen übergab.
    »Mehr hab ich aber nicht.«
    »Ich werde schauen, was sich für diese paar Kopeken machen lässt, kann dir aber nichts versprechen.«
    »Verwechseln Sie bitte nichts. Ich will Philosophie studieren. Merken Sie sich das bitte.«
    »Philosophie! Tss! Du Fehlgeburt des Proletariats! Man bräuchte allein schon eine Ewigkeit, um dir das Putzen beizubringen. Philosophin will sie werden, tss!«
    »Philosophie! Nicht vergessen.«
    Zwei Tage später hatte Teofil Karnickel alles organisiert, wie versprochen. Zu Lena sagte er:
    »Geh dich vorbereiten. Kauf dir Hefte, Kugelschreiber in verschiedenen Farben … Am ersten September fängst du an. Mit deinem Studium. Ich habe alles organisiert. Du wirst mir noch bis ans Ende deines nichtsnutzigen Lebens danken.«
    Lena versprach es. Und war unheimlich stolz auf sich, obwohl sie auf nicht ganz ehrliche Weise zu ihrem Studienplatz gekommen war.
    »Ehrlichkeit ist relativ«, schrieb sie später in ihren Tagebüchern, »man muss Prioritäten setzen und kleine Wahrheiten für größere opfern. Was hat die Ukraine davon, wenn ich ungebildet bleibe? Und in diesem konkreten Fall habe ich nicht einmal jemanden betrogen, eher wurde ich betrogen, weil ich gezwungen wurde, für kostenlose Bildung zu bezahlen. Noch dazu wurde mein gesunder junger Körper mit starken Beruhigungsmitteln vergiftet.«
    Vor lauter Freude vergaß Lena beinahe, Teofil Karnickel das Wichtigste zu fragen, und zwar, wo genau sie es denn »geschafft« hätte. Karnickel wurde verlegen und begann zu stottern. Er stotterte immer, wenn er nervös war.
    »Machen Sie sich nichts daraus, Herr Karnickel«, sagte Lena, »die Studienrichtung ist mir eigentlich nicht so wichtig. Ich hätte mir Philosophie gewünscht, aber falls das nicht geklappt hat – auch kein Drama. Andere Studienrichtungen sind sicher auch nicht schlecht. Dafür hab ich dann einen Hochschulabschluss.«
    »Fffü… ffffü… fffür Philosophie«, stotterte Karnickel, »hat das Geld nicht gereicht.«
    »Na, macht nichts! Ich bin doch längst Philosophin. Wenn man kein Geld hat, bleibt einem gar nichts anderes übrig.«
    »Und ffffü… ffffü… für Physik auch nicht«, fuhr er fort. »Bitte, was soll ich denn mit Physik! Total öde! Physiker sehen die Welt nur durch ihre Formeln. Ich bin da anders! Ich will mit offenen Augen durch das Leben gehen!«
    »Also, kurz und gut, in der Sportfakultät hab ich dich unterbringen können …«
    »Was?? Sport?!«
    Darauf war Lena natürlich nicht gefasst.
    »Dafür gibt es ein richtiges Studium?«, fragte sie unter Tränen.
    »Ja sicher, immer schon.«
    »Ist das Ihr Ernst, Herr Karnickel? Ich schaffe nicht einmal zwei Liegestütze!«
    »Du bist jung, gesund, wirst das schon lernen! Kriegst Bauchmuskeln und endlich eine weibliche Figur!«, sagte Karnickel und klopfte Lena aufmunternd auf die Schulter.

5    Wie sie die Grundlagen der Valeologie erlernte
    Sport, sagte Lena später, war eigentlich kein so schlechtes Studium – sofern man ein kräftig gebauter Mann mit einem winzig kleinen, nahezu inexistenten Gehirn war. Nach dem Abschluss, manchmal sogar neben dem Studium, konnte man als Leibwächter bei Gangstern arbeiten. Die zahlten nicht schlecht, und das Risiko, umgebracht zu werden, war nicht vorhanden, weil die Gangster von San Francisco sich gut verstanden und einander nicht ins Gehege kamen.
    Falls bei einem Leibwächter Spuren eines Gehirns vorhanden sein sollten, ohne zu sehr hervorzutreten, konnte er die Gangster sogar bei ihrer Arbeit unterstützen, also selbst ein bisschen Gangster sein.
    Unter den Sportstudenten hatte das Boxen bzw. Kickboxen den höchsten Status (Boxen ist, wenn zwei Affen sich prügeln, und Kickboxen, wenn zwei Äffchen hüpfen, erklärte Lena). Gewichtheben war auch sehr beliebt (in dieser Disziplin traten bereits King Kongs gegeneinander an). Allen anderen – den Losern – blieb nichts anderes übrig als entweder wie tollwütige Eichhörnchen jeden Tag zehn Kilometer zu laufen – das hieß dann Leichtathletik – oder ihre Körper im Turnsaal zu vulgären Posen zu verrenken, die selbst für das Kamasutra zu pervers wären. Das Ganze firmierte ebenfalls unter Leichtathletik.
    Am ersten September, als die Studenten sich ihre Fachrichtungen aussuchten, ging Lena zum Fakultätsdekan und ließ verlauten, dass sie Schach studieren würde.
    »Das ist doch eine Sportart, oder?«
    Der Dekan blickte Lena mitleidig an. Er war

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