Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
ja: ein Mann zu sein und gut auszusehen. Zwei oder drei Mädels aus Lenas Klasse heirateten umgehend und beschlossen, dass sie keine Paukerei mehr brauchten. Zwei andere gingen ins Kloster, das war gerade modern. Nur Lena hatte als Einzige keinen blassen Schimmer, was sie machen sollte und wo ihre Talente lagen.
Wirklich herausragende Begabungen stellte sie bei sich nicht fest, dafür allerhand kleinere. Lena konnte von allem ein bisschen was. Sie hätte Physik, Biologie, Mathematik (mit ein bisschen mehr Anstrengung) und Psychologie studieren können – dabei bräuchte sie sich gar nicht übermäßig ins Zeug zu legen, denn sie durchschaute jeden sofort. Oder auch Ökologie: Lena mochte die Natur und betrachtete es später oft als bedauernswerten Fehler, dieses Studium nicht gewählt zu haben.
Also schickte sie ihre Bewerbungsunterlagen an alle mehr oder weniger annehmbaren Fakultäten und wartete auf die Aufnahmeprüfungen. Lena fürchtete sich vor diesen Prüfungen nicht, sie hatte ziemlich gefestigte Überzeugungen. Eine eigene Meinung zu haben, sei sehr wichtig, sagte sie – wieder einmal. Dann könne man sich aus jedem Schlamassel elegant herauswursteln.
Lenas Vater hatte inzwischen ein paar Hektar Land gepachtet und machte sich über die Bepflanzung Gedanken, es sollte sich schließlich richtig auszahlen. Er hatte einen Freund namens Hawrylko, der auf dem Land lebte und mit dem er eine Kooperation startete.
»Lass uns Kartoffeln anbauen!«, schlug Lenas Vater seinem Freund vor.
»Was willst du mit Kartoffeln, da rackerst du dich nur ab, plagst dich die ganze Zeit mit den verdammten Kartoffelkäfern, dann musst du die Knollen ausbuddeln und auf dem Markt bekommt man sie nachgeschmissen. Das Benzin wird uns mehr kosten als wir verdienen.«
»In Ordnung«, sagte Lenas Vater, »dann machen wir was mit Zuckerrüben.«
»Und was willst du mit denen? Als Zuckerersatz fressen? Zuckerrüben muss man an die Fabrik abliefern, dafür bekommt man dann Zucker. So zwanzig Kilo pro Zentner. Ohne mich.«
»Na gut, dann eben Weizen.«
»Der Regen macht dir alles hin, das ist beschissen.«
»Und Gerste?«
»Doppelt beschissen. Außerdem habe ich Gerste schon immer gehasst. Wenn was in die Hose reinkommt, juckt’s den ganzen Tag wie die Hölle, wie irgend so ein Tripper, pfui Teufel!«
»Und Erbsen?«
»Die klauen dir die Nachbarn.«
»Was ist mit Kohl?«
»Willst du mich verarschen?«
»Und Mais?«
»Theoretisch ja, aber Mais bauen alle an. Wir brauchen was Exklusiveres …«
Lenas Vater ging im Kopf alle Gemüsesorten durch, die er kannte. Er dachte laut:
»Wassermelonen wachsen bei uns ja nicht, wär’ aber schön gewesen. Das wär’ ein gutes Geschäft … Gurken? Nein, alles, nur das nicht. Die ess’ ich im Sommer die ganze Zeit, ich fühl mich schon selbst wie ein Hase.«
»Seit wann fressen denn Hasen Gurken?«
»Die fressen alles! Da brauchst du nur die Hand hinzuhalten, und die beißen ab! Jetzt hab ich’s! Tabak! Ein Bekannter von mir hat einmal sein ganzes Grundstück mit Tabak bepflanzt. Das hat so schön geblüht!«
»Zu der Zeit hat’s aber keine Zigaretten gegeben. Jetzt kriegst du in jedem Geschäft Filterlose. Was machst du dann mit dem ganzen Tabak?«
»Warte, und was ist mit Mohn? Das wär’ doch was! Der blüht auch schön!«
»Dann kommen sofort alle Drogensüchtigen aus dem ganzen Umland.«
»Ich hab’s!«, rief Lenas Vater. »Wir müssen zurück zu unseren Wurzeln! Alte Traditionen wiederaufleben lassen. Was haben die Ukrainer früher immer angebaut?«
Hawrylko hatte keine Ahnung. Lena kam auch nicht sofort dahinter, obwohl sie sich mit Traditionen eigentlich recht gut auskannte. Ihr Vater war aufgeregt.
»Buchweizen!! Wir werden Buchweizen anbauen, so wie unsere Vorfahren!«
Hawrylko fand die Idee nicht gut, allerdings hatte er auch keine schlagenden Gegenargumente.
»Buchweizen wäre ein gutes Geschäft!«, erzählte Lenas Vater allen. »Wir werden ganz Europa damit beliefern. Wir werden Aufträge an Land ziehen, dass wir gar nicht mehr wissen, wo wir die Dollars stapeln sollen. Wir müssen es nur vernünftig angehen, so richtig mit Werbung, ich sehe es schon vor mir: ›Geh zurück zu deinen Wurzeln: Iss Buchweizen!‹ Unsere Firma nennen wir ›Agrargesellschaft Buchweizenbauern‹. Macht was her, der Name, oder?«
Selbst Lenas Mutter ließ sich von der Begeisterung ihres Ehemanns mitreißen und gab ihm sämtliche Anzugs- und Kostümeinnahmen, damit er Saatgut
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