Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Autoritäten kontrollierende, demokratisierende Kraft. Zu verdanken ist das allerdings nicht vornehmlich wohlmeinenden Regierungen oder sozialbewussten Unternehmern, sondern Nutzern, Hackern, Aktivisten.
Kann Ähnliches im Bereich der Bioforschung und Biotechnologie passieren? Sind die Biohacker von heute vielleicht die ersten Vertreter einer Bewegung, die einmal „Occupy Biology“ heißen wird, oder auch „Biotech of the 99 Percent“? Und welche Rahmenbedingungen sind nötig, damit eine positive Entwicklung wahrscheinlicher wird als eine negative? Das war, neben der Suche nach dem, was schon heute im Amateurlabor machbar ist, die zweite wichtige Frage, die wir uns gestellt haben.
Die meisten Science-Fiction-Visionen, in denen Biotechnologie eine Rolle spielt – von Huxleys Brave New World über Blade Runner, Gattaca, The Sixth Day und Matrix bis hin zu The Cloud Atlas –, sind düster. Ihnen allen gemein ist aber, dass eine autoritäre, totalitäre, Wissen und Technologie monopolisierende Elite die Fäden zieht. Doch das sind nicht die einzig denkbaren Visionen. Eine wirklich schöne neue Welt ist ebenso möglich. Stehen wir heute an einem Punkt, an dem wir selbst mitentscheiden können, in welche Biotech-Zukunft wir steuern? An einem Punkt, an dem wir selber Verantwortung übernehmen müssen, an dem wir die Biotechnologie und alle möglichen Varianten der modernen Biowissenschaft okkupierensollten? Müssen wir uns die Zutaten, Werkzeuge und Codes dieser Technologien aneignen, um die Weichen richtig zu stellen?
Oder birgt die Biohacker-Bewegung vor allem unkontrollierbare, nicht tolerierbare Risiken? Sind diese vielleicht viel größer als die Chancen, und wäre es deshalb im Sinne der Gesellschaft, das Treiben in den Amateurlabors rigoros zu unterbinden?
Wer soll die Entwicklung im Auge behalten, beurteilen, begleiten, kontrollieren, regulieren? Überlassen wir es den Akteuren selbst, oder ist die Staatsgewalt hier gefordert? Oder stehen hier vielleicht auch jene in der Pflicht, die die Gentechnologie unwiderruflich in die Welt gebracht haben – die wissenschaftlichen Institutionen und Forschungseinrichtungen und die dort arbeitenden professionellen Wissenschaftler?
Bei aller Ernsthaftigkeit unseres Vorhabens und der Fragen, auf die wir Antworten suchten, hatten wir in diesen Jahren eine Menge Spaß. Wir haben skurrile Situationen durchlebt und interessante Persönlichkeiten getroffen. Angesichts im Dutzend scheiternder Experimente wurde auch unser Humor auf eine harte Probe gestellt, wir haben unsere selbstironischen Fähigkeiten geschult, sind in Fettnäpfchen ebenso wie in Hundehaufen getreten. Auch das breiten wir auf den folgenden Seiten einigermaßen schonungslos aus. Denn eines waren diese fast drei Jahre auf den Spuren jener neuen Spezies niemals: langweilig.
Kapitel 1 ...
... in dem wir unser Erbgut in Schnaps schwimmen lassen, der DIY-Bio-Oberguru Mist baut, Katzen Laborzutaten fressen, zum ersten, aber nicht letzten Mal das FBI auftaucht, ein Mädchen Anfang 20 ihre Krankheitsgene analysiert und Kamm und Gel nichts mit Frisuren zu tun haben ...
DAS SCHNAPSGLAS-GENOMPROJEKT
Mackenzie salzt nach. „Klar, das ist vollkommen ungefährlich“, sagt er und streut noch ein paar weiße Kristalle in sein Glas, „ich hab das selbst schon mal gemacht.“ Vormachen will er es in diesem Moment aber nicht, schließlich braucht er noch einen klaren Kopf. Mackenzie Cowell oder „Mac“, wie er sich gerne nennen lässt, sitzt mit neun anderen an einem großen Tisch und gibt ihnen einen Einführungskurs in Hobby-Gentechnik. Jeder einzelne der Teilnehmer hält in seiner Hand ein Schnapsglas. Es ist halb gefüllt. Inhalt: die jeweils eigene Spucke, etwas Spülmittel und Kontaktlinsenreiniger, eine Prise Salz und 75,5-prozentiger Alkohol. Es sind die Zutaten, die wir brauchen, um einen Blick auf unser eigenes Erbgut werfen zu können. Das Experiment, sagt unser Lehrer, ist so simpel und harmlos, dass man sich den Inhalt dieses Schnapsglases auch auf Ex genehmigen könnte. Der „Shot“ sei einer der besten Drinks, die er je gemixt habe, meint Mac. Aber die Runde verzichtet lieber kollektiv.
Zwei Stunden früher: Es ist ein heißer Samstag im April 2010. Am schon fortgeschrittenen Morgen – Biohacker starten gerne etwas später – sind wir auf der Suche nach dem richtigen Haus in Somerville, einer Nachbarstadt von Cambridge in Massachusetts, gleich vor den Toren Bostons an der Ostküste der USA. Um
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