Biohacking - Gentechnik aus der Garage
zehn Uhr soll der Kurs beginnen: zwei Tage, 20 Dollar Unkostenbeteiligung. Mitzubringen ist nichts weiter als das eigene Erbgut. Wir finden die Hausnummer – und fragen uns, ob wir nicht vielleicht doch einem Scherz aufgesessen sind. Auf der Veranda sitzen drei Kerle, gezeichnet von irgendeiner Feier in der letzten Nacht. Sie spucken über das Geländer und machen sich offensichtlich lustig über unsere ratlosen Blicke. Schließlich weist uns einer den Weg zum Hinterhaus. „Ja, schon richtig, das wird schon das sein, was ihr sucht.“
Der Hof ist ein Parkplatz voller Sperrmüll – oder ist es Kunst? Mechanische Konstruktionen aus Holz, deren Zweck wir nicht verstehen. Dazwischen parkt ein windschlüpfriger Honda mit Hybridantrieb, daneben ein Wohnmobil, das Platz für eine Großfamilie bietet. Ein paar Motorräder ruhen noch im Winterschlaf unter Plastikplanen.
Hinter all den Hindernissen kauert ein Holzhaus mit einem großen Garagentor in der Frontwand. Auf der Tür klebt eine kleine amerikanische Flagge, offensichtlich sind in den USA selbst die Hacker Patrioten. Eine Klingel gibt es nicht, auf Klopfen keine Reaktion. Vielleicht hätten wir uns und unserem Erbgut an diesem ersten so richtig die Glieder wärmenden Frühlingstag doch lieber eine Bootstour zu den Walen vor Cape Cod gönnen sollen? Oder einen Besuch in Fenway Park, dem Bostoner Baseballstadion auf der anderen Seite des Charles River, um die famosen Red Sox zu sehen? Tausend Dinge, die man tun könnte an einem Frühlingstag, an dem die Natur hier an der Ostküste der USA in einer grünen Explosion erwacht.
Aber da wir nun schon mal hier sind, pressen wir die Stirn gegen die Scheiben der Tür und erkennen eine professionell eingerichtete Werkstatt für Holz- und Metallarbeiten. Als auf unser Klopfen noch immer niemand antwortet, drehen wir den Türknauf. Es ist offen, aber niemand ist zu hören oder zu sehen. Wir erkennen, wie penibel sauber die Werkstatt ist, an deren linker Wand etwa ein Dutzend Fahrradrahmen hängen. Extremer könnte der Kontrast zum verrümpelten Hof nicht sein – wir treten in einen Raum, der so geleckt wirkt, dass man sich die Schuhe ausziehen will. Entweder hier arbeiten die reinlichsten Handwerker der Welt oder hier wurde noch nie ein einziger Span aus einem Brett gefräst.
Hallo, ist da jemand? Ein Knarzen von oben, wir nehmen die Treppe zum zweiten Stock, und als wir halb hinauf sind, erscheint amoberen Ende ein rundes Gesicht mit Brille darauf und Locken drumherum. „Hallo Leute, willkommen im Boss-Lab.“
Das obere Stockwerk entspricht schon eher unseren Vorstellungen von einem biologischen Labor. An einem mannshohen orangefarbenen Stahlschrank steht die Warnung „Entzündbare Flüssigkeiten“, daneben hängen an den schweren Türen Gedichte und Weisheiten aus dem Hacker-Alltag, hingepinnt mit Kühlschrankmagneten. Ein Regal über der Werkbank trägt Dosen und Flaschen. Destilliertes Wasser, etwas mit dem Namen „SybrSafe“, Kontaktlinsenflüssigkeit, Haushaltsreiniger, alte Wodkaflaschen mit neuem Inhalt, der als chemische Formel über die Etiketten gekritzelt wurde. Eine Flüssigkeit namens „TBE“ steht dort, daneben Natriumchlorid-Lösung, Salzsäure, Natronlauge und eine Dose Agar.
Agar, das wissen wir noch aus fernen Studientagen, kann man zu einem Gelee kochen, Nährstoffe hineinrühren und schließlich zum Beispiel Bakterien darauf wachsen lassen. Aber sicher lassen sich damit auch andere Dinge anstellen. Wir sehen Müllbehälter für festen und flüssigen Laborabfall, Ständer voller Pipetten, eine Zentrifuge, jede Menge leere Glas- und Plastikgefäße, eine Waage, einen Kühl- und einen Brutschrank, Rührmaschinen und ein Gerät, das, wie wir später erfahren, Erbgut kopieren kann.
Das Labor nimmt einen Teil des Obergeschosses dieses Hauses ein, das als Ganzes „Sprout“ heißt und Nerds und Geeks aller Art eine Zufluchts- und Bastelstätte bietet, auf dass ihre Ideen sprießen (englisch: „to sprout“) mögen. Irritierend ist nur, dass der Fußboden hier im Boss-Lab nicht so sauber ist wie unten im „Staubbereich“. Das Laminat klebt ein bisschen unter den Schuhen, Wollmäuse kuscheln sich an die Füße der Regale und Tische.
Neben der Laborecke schließt sich eine Küchenzeile an. Wir sind uns nicht sicher, ob im Kühlschrank, der beide Bereiche trennt, Lebensmittel oder biologische Proben aufbewahrt werden – bis eine Frau in einer Art Poncho von einem Sofa neben der Treppe
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