Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Gummihandschuhen, wahrscheinlich ein paar handfeste Flüche.
Auch dass wir gelegentlich Messzylinder in der Teeküche ausspülen werden, haben sie mit ungläubigem Nicken zur Kenntnis genommen. Dass sie uns im gestreckten Galopp gemeinsam zum einzigen Klo spurten sehen würden, das konnten wir da noch nicht wissen.
Wir werden nicht mit Bakterien oder Tieren arbeiten, mit Pflanzenteilen nur sehr begrenzt. Auch Viren sind tabu. Alle Versuche sind so geplant, dass wir dabei keine umweltgefährdenden Stoffe verwenden müssen. Flüssige Abfälle, die wir nicht bedenkenlos trinken würden, werden wir zur Schadstoffsammelstelle der Berliner Entsorgungsbetriebe bringen. Der rechtliche Rahmen wird durch diverse Gesetze gesteckt. Die wesentlichen sind Gentechnik-, Chemikalien- und Grundgesetz. Uns selber schützen wir mit Einweghandschuhen aus Latex, Brillen tragen wir sowieso.
Vor dem Forschen steht das Einkaufen. Auf unserer ersten Bio-Bildungsreise durch die USA haben wir gelernt, was wir brauchen, um mit der Arbeit anfangen zu können. Die Liste ist immer länger geworden. Vor allem ab dem Augenblick, in dem wir begonnen haben, die ersten Anleitungen zu Experimenten zu lesen. Wie richtet man also ein Labor ein? Man geht erst einmal in die Küche und schaut, was man gebrauchen könnte. Viel mehr Nützliches als einen Messbecher und eine Schere gibt es da nicht, Marmeladengläser vielleicht, dann noch etwas Frischhaltefolie und ein paar Plastikboxen.
Das meiste, was wir brauchen, finden wir im Internet. Bald kennen wir die Preise vieler Kataloge auswendig und können Bestellformulare blind ausfüllen. Da, wo andere Leute Bücher und Klamotten kaufen, stöbern wir eine Woche lang nach Feinwaagen, Zentrifugen, den chemischen Zutaten für die geplanten Versuche, nach Gummihandschuhen, Pipetten und Reaktionsgefäßen in verschiedenen Größen.
So banal die letzten beiden Punkte auf unserer Einkaufsliste vielleicht klingen – beide zusammen haben die Molekularbiologie revolutioniert.
1957 hatte der Marburger Mediziner Heinrich Schnitger eine undankbare Aufgabe. Tagelang musste er Proben auf Chromatographie-Säulen auftragen. Dafür standen ihm als Werkzeuge lediglich Glaspipetten zur Verfügung, in denen er die Flüssigkeit bis zum Eichstrich mit dem Mund hochsaugen musste, um sie dann in das Analysegerät überführen zu können. Um sich die Arbeit zu erleichtern, ersann er ein neues Werkzeug, die Kolbenhubpipette, mit der sich kleinste Flüssigkeitsmengen mit großer Präzision, schnell und mit nur einer Hand abmessen ließen. Das Ansaugen übernimmt dabei ein Federmechanismus, der einen zuvor mit dem Daumen heruntergedrückten Kolben beim Nachgeben des Daumens wieder nach oben drückt.
Schnitger meldete seine „Marburg-Pipette“ 1961 zum Patent an, überließ aber die Rechte bald darauf den Hamburger Ärzten Heinrich Netheler und Hans Hinz exklusiv. Die beiden Gründungsväter des Unternehmens, das heute Eppendorf AG heißt, brauchten damals für die Diagnostik ein System, um kleine Flüssigkeitsmengen zu handhaben, denn was sie untersuchen mussten, gab es nicht in großen Volumina: Blutproben einzelner Kinder, die man den kleinen Patienten, anders als Erwachsenen, nicht halbliterweise abnehmen kann. Die beiden ergänzten Schnitgers Erfindung um Einweg-Plastikspitzen, in denen die gesamte Flüssigkeit aufgenommen und wieder abgelassen werden konnte und die nach jeder Benutzung ausgetauscht wurden. Mit diesem System wurden also weder die Flüssigkeits-Proben noch die Pipette selbst verunreinigt.
Netheler und Hinz benannten das Gerät alsbald in „Eppendorf-Pipette“ um. Außerdem ließen sie auch noch milliliterkleine, fest verschließbare Plastikgefäße fertigen, in denen der Benutzer Proben lagern und Reaktionen ablaufen lassen konnte.
Auch Biologen und Biochemiker müssen oft mit knapp bemessenen Flüssigkeiten arbeiten und ihre Proben oder teuren Enzyme genau dosieren. Die Pipetten, die auf einen Mikroliter (ein Tausendstel Milliliter) genau messen konnten, und die dazu passenden Einmal-Gefäße waren auch für sie eine ideale Kombination. Obwohl es inzwischen Hunderte generische Produkte gibt, ist noch heute der Name Eppendorf Sinnbild für diese kleinen Plastikgefäße, die liebevoll „Eppis“ genannt werden. Unmengen davon werden noch immer an Labors in alle Welt ausgeliefert, und auch Unmengen von Einmal-Pipettenspitzen. Von denen verkauft die Firma jährlich derzeit mehr als zwei Milliarden.
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