Biohacking - Gentechnik aus der Garage
der Reaktionslösung und baut ihn in den neuen Strang ein. Und so weiter. Ein neuer Strang mit Ts, Gs, As und Cs in für das spezifische Gen oder die spezifische Genvariante spezifischer Reihenfolge ist entstanden.
Um die 648 Bausteine des für uns interessanten Abschnittes des COX1-Gens aneinanderzureihen, braucht das Enzym nur knapp eine Minute. Vorausgesetzt, die Temperatur wird dabei auf etwa 72 Grad justiert – das ist der Wohlfühlbereich des Enzyms. Zum Abschluss des Zyklus erhöht die PCR-Maschine die Temperatur wieder auf 95 Grad, die Doppelstränge lösen sich wieder zu Einzelsträngen auf und bieten der molekularen Kopiermaschine nun genau doppelt so viele Vorlagen wie im vorherigen Durchlauf. So verdoppelt sich die Zahl der Genkopien mit jedem Zyklus. Die PCR ist ein molekularer Verstärker. Selbst wenn man die Reaktion mit nur einem Original-DNA-Molekül starten würde, wären schon nach 25 Kopiervorgängen über drei Milliarden Kopien daraus geworden. Unsere antiquarische PCR-Maschine braucht dafür über drei Stunden, moderne Geräte kaum ein Drittel der Zeit.
Drei Stunden sind noch immer besser als die Tage, die der Erfinder dieser Methode im Labor zubringen musste. PCR-Maschinen gab es 1983 noch nicht, als den amerikanischen Chemiker Karry Mullis ein Gedankenblitz durchfuhr. Die von ihm selbst in die Welt gesetzte Legende besagt, dass er die Idee dazu hatte, als er in einem Cabriolet auf dem Highway 128 unter dem nordkalifornischen Sternenhimmel durch die Berge brauste. Obwohl er selbst den auf die Idee folgenden Part der Geschichte etwas anders und sehr selbstbewusst erzählt, hatte er große Schwierigkeiten, die Idee in eine funktionierende chemische Reaktion umzusetzen. Ihm standen nur Wasserbäder mit drei verschiedenen Temperaturen zur Verfügung, zwischen denen er die Reaktionsgefäße hin und her bewegen musste – eine Methode, die heute in manchen Garagenlabors, die sich keine PCR-Maschine leisten können oder wollen, wieder verwendet wird. Ein weiteres Problem war, dass er und seine Helfer nach jedem Erhitzen auf 95 Grad neue Polymerase hinzugeben mussten – weil die stabilen Kopierenzyme aus hitzeliebenden Bakterien, die heute benutzt werden, zuder Zeit noch nicht entdeckt waren. Nach vielen vergeblichen Versuchen zog ihn sein damaliger Arbeitgeber, das Biotech-Unternehmen Cetus, von dem Projekt ab und ließ es von anderen Mitarbeitern zu Ende bringen.
1986 schied Mullis mit 100 000 Dollar Abfindung aus dem Unternehmen aus. Cetus verkaufte später die PCR-Patente an den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche für 300 Millionen Dollar. 1993 bekam Mullis den Chemie-Nobelpreis.
Er war und ist eher ein bunter Vogel denn ein typischer Forschungsprofi. Seine These, die Immunschwächekrankheit Aids werde nicht durch das HI-Virus verursacht, hat ihn als Wissenschaftler ebenso isoliert wie die Dias leicht bekleideter Damen, die er gerne bei Festvorträgen einstreut. Zudem ging er recht liberal mit Drogen um und behauptete, LSD 30 habe ihm dabei geholfen, die Idee zur PCR zu entwickeln. Mullis war und ist unkonventionell, ein Outlaw-Forscher, ein Rock-’n’-Roll-Biologe, der lieber auf dem Surfbrett stand als im Labor – und ein wissenschaftliches One-Hit-Wonder. Doch er hat den molekularen Biowissenschaften ein Werkzeug geschenkt, ohne das sie heute nicht existieren würden. Wenn man an die DIY-Biologie der Gegenwart denkt, kann man sich fragen, ob in den unkonventionell denkenden Köpfen, die bei ihr mitmachen, weil sie sich nicht in akademische oder unternehmerische Zwänge pressen lassen wollen, nicht vielleicht auch längst ein paar ähnlich große Ideen brüten.
Um zu testen, ob unsere PCR geklappt hat, brauchen wir die Gel-Elektrophoresebox. Den Apparat haben wir vom Biohacker Tito Jankowski in den USA bestellt, der ihn bis 2011 als Bausatz oder fertig montiert über das Internet verkauft hat. Bei unserem Seminar in Cambridge hatte Mac Cowell eine Mikrowelle, um das Geliermittel Agarose in der leicht basischen TRIS-Borat-EDTA-Pufferlösung (kurz: TBE-Puffer) aufzulösen. Wir müssen uns mit einem Campingkocher begnügen.
Wir wiegen also ein Gramm Agarose ab und mischen es mit 50 Millilitern Borax-Puffer. Ein Puffer ist eine Lösung, deren pH-Wert sich nur wenig verändert, selbst wenn in ihr chemische Reaktionen ablaufen. Auch das menschliche Blut ist gepuffert, damit der pH-Wert möglichst konstant bleibt, egal was wir essen, ob wir wachen oder schlafen, ob unser Immunsystem
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