Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Auge kaum sehen kann in der transparenten Pipettenspitze. Leicht passiert es, dass dieser Mikrotropfennicht dort landet, wo er hin soll – auch, weil nach dem hundertsten Pipettiervorgang die Konzentration nachlässt. „Habe ich da schon etwas reingetan?“, ist eine häufig gestellte Frage in diesen Stunden. Und weil wir uns nicht permanent gegenseitig kontrollieren, können wir dann meist nur mit den Schultern zucken, die Stirn runzeln – oder fluchen. Wir haben versucht, uns vom „extreme programming“ inspirieren zu lassen. Dabei schaut ein Computer-Programmierer dem anderen bei der Arbeit über die Schulter und schaltet sich ein, sobald er sieht, dass sich sein Kollege vertippt hat. Das soll die anschließende Fehlersuche vereinfachen. Nur macht es uns jeweils nervös, den anderen hantieren zu sehen oder auch vom anderen beim Pipettieren beobachtet zu werden.
Die Gummihandschuhe, die wir tragen müssen, um unsere Proben nicht mit unserer eigenen DNA zu verunreinigen, machen es auch nicht leichter. Schon nach Sekunden sind sie schweißgefüllt, nach ein paar Minuten sickert die Flüssigkeit am Handgelenk heraus und wir müssen natürlich aufpassen, wohin die Tropfen tropfen. Am Abend sehen unsere Finger aus wie die von Wasserleichen. Die Haut riecht nach Latex, juckt.
Wir waren ziemlich aufgeregt, als wir unsere ersten Gen-Kopien in die zuvor präparierten Taschen in dem erstarrten Agarose-Gel injizierten und die elektrische Spannung an die beiden Elektroden in der Elektrophoresekammer anlegten. Drei Mal haben wir kontrolliert, ob die Anschlüsse richtig gepolt sind und unsere Proben wirklich in die richtige Richtung wandern – statt sich gleich im Pufferbad aufzulösen. Wir haben die hoffentlich erfolgreich kopierten COX1-Fischgene mit einem Farbstoff markiert, der unter blauem Licht orange aufleuchtet. Ein zweiter Farbstoff zeigt unter Tageslicht blau an, wie weit die vorderste Front der Proben bereits durch das Gel gewandert ist. Kurz bevor die blauen Striche das Ende des Gels erreicht haben, schalten wir den Strom ab und bereiten uns auf den feierlichen Moment vor, in dem wir unsere ersten, im eigenen Labor kopierten Fisch-Gene erblicken werden. Wir schalten das blaue Licht ein. Wir halten die orangefarbene Plexiglasscheibe, die das Leuchtsignal deutlicher machen soll, vor die Augen. Und wir sehen – nichts.
Erwartet hatten wir einen feinen gelblich-orangefarbenen Strich – eine „Bande“ im Laborjargon –, der viele Millionen Kopien desCOX1-Gens enthält, so breit wie die Gel-Tasche, die wir mit der Probe aus dem PCR-Automaten beladen haben. Doch zu sehen ist nur die sogenannte DNA-Leiter, die man in jedem Gel als Größenmaßstab mitlaufen lassen muss. Man kauft sie im Fachhandel. Sie enthält eine Reihe DNA-Abschnitte von genau definierter Länge zwischen 100 und 10 000 Erbgutbausteinen. Sie wird genauso wie unsere Proben in eins der Täschchen pipettiert, die die Zinken eines extra dafür hergestellten Kamms beim Erstarren im Gel hinterlassen haben. Nachdem die elektrische Spannung die Proben je nach ihrer Größe unterschiedlich weit durch das Gel gezogen hat, erscheinen diese Standard-DNA-Abschnitte darin wie die Sprossen einer Leiter. Durch Vergleich mit diesen Standards kann man ablesen, wie groß die anderen Genfragmente im Gel ungefähr sind.
Wenn man denn welche sehen würde. Die Bande, die erscheinen müsste, wenn wir ein COX1-Gen in der PCR-Maschine erfolgreich multikopiert hätten, sollte etwa bei einer Länge von 700 Bausteinen liegen. Aber da ist nur blaue Einöde zu sehen, kein orangefarbenes Glimmen.
Irritierenderweise gab es in allen Proben, egal ob vom Aal oder vom Thunfisch, ein Signal von etwa 100 Bausteine großen Genfragmenten, viel zu klein, um etwas mit dem COX1-Gen zu tun zu haben, das wir eigentlich sehen wollten. Per E-Mail fragen wir erfahrene Biohacker um Rat. Sie vermuten, dass wir dort nur die künstlichen Genschnipsel sehen, jene Primer, die der Polymerase sagen, wo sie mit dem Kopieren starten und wo sie enden soll, und die zusammengeknäuelt mit durch das Gel geglitten sind und nun so strahlend leuchten, als wollten sie uns ermuntern, es am nächsten Tag noch einmal zu versuchen. Und am Tag darauf und am Tag darauf ... Wir versuchen es wieder und wieder, immer mit leicht abgewandelter Rezeptur. Mal mit einer etwas anderen Magnesiumchlorid-Konzentration im Reaktionsansatz, mal mit etwas mehr von dem Kopier-Enzym – oder sollten wir doch die
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