Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Ermittlungen. Dann entdecken die Polizisten die Petrischalen und Bakterienkulturen, mit denen der Kunstprofessor gerade eine Ausstellung für das Massachusetts Institute of Contemporary Art vorbereitet. „Sie haben auf diesen ganzen Kram hier geguckt und dachten wohl, dass ich meine Frau vielleicht durch irgendein biochemisches Gift getötet hätte.“ Kurtz versucht den Beamten klarzumachen, dass das alles komplett harmlos sei, indem er einen Finger über eine Petrischale voller Bakterienkulturen zieht und sich in den Mund steckt. Aber als die Polizisten wieder gehen, meint einer: „Ich befürchte, das FBI wird mit Ihnen reden wollen.“
Am nächsten Tag, als Kurtz sich zu Fuß auf den Weg macht, um die Beerdigung zu arrangieren, kommen tatsächlich zwei Autos voller FBI-Agenten angerast, schneiden ihm den Weg ab und nehmen Kurtz fest, unter Verdacht auf Bioterrorismus. Es folgt ein 22 Stunden langes Verhör. „Im Grunde entführten sie mich“, sagt Kurtz, denn einen Haftbefehl oder eine Anklage gab es nicht. Das bei der Begrüßung offene Lachen im Gesicht des Professors ist jetzt endgültig abgelöst von einer in Falten gelegten Stirn und wiederholtem Kopfschütteln. Seine Stimme zittert.
Er hat die Geschichte schon oft erzählt, doch er durchleidet sie immer wieder neu. Während Kurtz verhört wird, durchwühlen Dutzende Beamte sein Hab und Gut – mit allem, was das FBI an Equipment für bioterroristische Verdachtsfälle aufzubieten hat. Es scheint, als habe man nur darauf gewartet, die Desinfektionsbäder, Schutzanzüge, Gasmasken und Dekontaminationskammern auszuprobieren. Mit denen hatten sich die FBI- und Heimatschutz-Behörden nach den Anschlägen des 11. September 2001 und den folgenden Anthrax-Attentaten im Zuge der staatlich verordneten Paranoia der Bush-Ära eingedeckt. „Hier sieht man, was vor dem Haus passierte“, sagt Kurtz und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Bild in A3, das er aus einem der Aktenstapel in seinem Büro gezogen hat. Darauf sind FBI-Agenten in Schutzanzügen zu erkennen, von denen einer gerade in einem Desinfektionsbad steht, um seine Schuhe zu dekontaminieren. „Sie waren bewaffnet, hatten Zelte aufgestellt – und bestellten Pizza und Gatorade“, erzählt Kurtz, der später die leeren Dosen und Pizzakartons im Garten fand.
Das Labor und der Computer werden konfisziert, Bücher, Manuskripte und halbfertige Kunstobjekte eingepackt und zur Untersuchung zum FBI verfrachtet. Sogar die Leiche von Hope Kurtz wird zur genaueren Inspektion vom lokalen Leichenbeschauer zum FBI überstellt. „Und sie fingen meine Katze ein, weil sie dachten, ich würde sie als Überträger verwenden, um die Nachbarn anzustecken.“
Die allerdings demonstrieren für seine Freilassung, sammeln sogar Geld für Anwaltskosten. „Das ist hier eine enge Gemeinschaft, jeder kennt jeden“, sagt Kurtz. Seine Nachbarn lassen sich weder von eventuellen Killerkeimen noch von der Angst der Offiziellen anstecken. Einer stellt ein Schild auf: „Er ist kein Terrorist, er ist mein Nachbar“. Gut sichtbar für Polizei und Fernsehkameras.
Kurtz wird zwar nach dem Verhör freigelassen, er darf aber erst nach einer Woche nach Hause, wo er außer dem Imbissabfall im Garten eine Menge Unordnung und seine Katze auf dem Dachboden eingeschlossen findet.
Durchatmen kann er kaum. Nicht nur der Tod seiner Frau und die Erinnerungen daran, wie man mit ihm in dieser Phase umgegangen ist, machen ihm von nun an zu schaffen. Zwar ist nach der Obduktion schnell auch den Behörden klar, dass seine Frau nachweislich an Herzversagen gestorben war, auch die Bakterienkulturen wurden nun hochoffiziell als harmlos anerkannt. Doch er wird trotzdem angeklagt, nicht wegen Bioterrorismus, sondern wegen „Postbetrugs“ (mail fraud). Er habe sich die Bakterien auf gesetzeswidrigem Wege per Post zuschicken lassen, das ist der einzige Vorwurf, den man ihm offiziell macht. Das kann ihn trotzdem bis zu 20 Jahre hinter Gitter bringen. Es folgt ein fünf Jahre langer Prozess gegen den eigenen Staat, der ihn Nerven und viel Geld für Anwälte kostet. Am Ende wird Kurtz freigesprochen.
Seine künstlerische Arbeit im Critical Art Ensemble hat sich inzwischen von Gen- und Biotechnik wegbewegt. Doch im August 2012 gerieten der Professor und die US-Behörden erneut aneinander. Seine Ausstellung „Beschlagnahmt“ („Seized“) wurde ... beschlagnahmt. Nach seiner Freilassung hatte Kurtz kurzerhand die Überreste seines damaligen Labors und all
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