Bios
Entenmuscheln immer und immer wieder nachwuchs…
Das Telesensorium stieg wie eine Stahlblase nach oben. Er sah zu, wie der Meeresboden nach unten sackte, spürte selbst aber keine Bewegung, nur die Rückenlehne und sein steifes Rückgrat. Telepräsenz nahm ihn derart in Anspruch, dass er fast vergaß, sich auf seinem Stuhl zu rühren; er litt an chronischen Lendenschmerzen und solche Exkursionen schienen sie noch zu verstärken.
Er hatte jetzt eine Höhe erreicht, wo das Tageslicht sichtbar wurde, das Wasser ringsum färbte sich indigoblau, dann abendblau, dann sturmgrün. Die schwimmende Meeresstation war in Sicht, eine ferne Kette aus Kapseln und Ankern – eine Perlenkette, die dem Meer aus der Hand baumelte. Da brach der Alarm los.
*
Li gab die Telekontrollen an seinen Assistenten Kay Feinn ab und überflog den Lagebericht, der auf dem Hauptschirm des Kontrollraums blinkte, dann erst klappte er seinen eigenen rasch blinkenden Palmtop auf.
Allgemeine Betriebsunterbrechung, Hauptschotts dicht, Kontamination in Kapsel Sechs. Die allerunterste Laboreinheit der Meeresstation war verseucht. Es brauchte noch einmal zehn Minuten, bis er von der Technik bestätigt bekam, dass die Kapsel anscheinend verseucht war und die beiden Männer im Innern auf wiederholtes Anrufen nicht reagierten. Auch die Telemetrie aus der fraglichen Kapsel war ausgefallen; die Kapsel war verschlossen und schwieg. Besonders das Versagen der Elektronik stieß auf Unverständnis. Angesichts verriegelter Schotts und mangels Input war sich die Technik nicht sicher, was als Nächstes zu tun war.
Li wusste es: Er ließ den Shuttle für alle Fälle auf Not-Evakuierung umrüsten. Er befahl der Kommunikation, die IOS zu alarmieren und Rat einzuholen. Er war dabei, eine persönliche Verbindung mit Kenyon Degrandpre aufzubauen, als Kay, der noch immer das Kopfgeschirr trug, sagte: »Ich finde, Sie sollten sich das mal ansehen.«
»Schlechter Zeitpunkt.« Natürlich.
»Ich bin unten bei Kapsel Sechs«, sagte Kay. »Da.«
Li löschte die Verbindung und kletterte wieder in den Telepräsenzstuhl.
*
Kapsel Sechs war in katastrophalem Zustand – so viel verriet die Alarmsequenz –, doch Li sah keinerlei physische Schäden, jedenfalls nicht aus der Perspektive des Unterwassersensoriums.
Der Lichtfächer kämmte über die externe Sensorik von Kapsel Sechs. Nichts. Li bekam Besuch. Das Licht hatte einen Schwarm von riesigen, durchscheinenden Wesen angelockt – seine Mitarbeiter nannten sie ›Kirchenglocken‹. Harmlose Wirbellose, die unbekümmert durch die äquatorialen Gewässer zogen und nach Organellen fischten. Ein Schwarm von Kirchenglocken konnte wohl kaum ein ganzes Laboratorium lahm legen.
»Kay, was sollte ich mir ansehen?«
Die beiden in der Kapsel Eingesperrten waren Kyle Singh, ein Mikrobiologe aus dem Kuiper-Gürtel, und Roe Devereaux, ein terrestrischer Meeresbiologe. Selbst wenn sie die anfängliche Bioattacke überlebt hatten, was immer sie da attackiert hatte, so konnten sie den Stromausfall unmöglich überleben. Kapsel Sechs stand selbst für äquatoriale Gewässer so tief, dass sie rasch auskühlen würde. Und die Lufterneuerer, durch die Alarmsequenz auf höchste Entgiftungsstufe geschaltet, mussten längst überfordert sein.
Die Männer, dachte Freeman, waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben. Kapsel Sechs beherbergte alkaloides Tiefseeinventar. Viele tödliche Organismen gab es da unten, und sollte irgendetwas aus den Glove-Boxen entwischt und in die Luftversorgung gelangt sein, hatte das für Devereaux und Singh einen schnellen Tod bedeutet. Unterhalb von Sechs gab es nur noch die Ankerleine und die blinde Meerestiefe. Das Wasser hier glühte wie türkisfarbene Tinte und kreiste in einer Thermopause zwischen dem Habitat der druckverwöhnten Kirchenglocken und der wimmelnden Phytochemie der seichten Oberfläche. Planktonähnliche Einzeller und schneeflockengroße Bakterienkolonien rieselten aus dem Oberflächenwasser, ein Blizzard, der das biologisch reiche Benthal fütterte.
Die Kapsel schien intakt zu sein, aber sie war völlig dunkel. Devereaux hatte sich über eine Algenhaut beschwert, die Fenster und externe Sensorik trüben sollte. Freeman konnte nichts dergleichen bestätigen.
»Das Fenster rechts«, sagte Kay ungerührt. »Mir war, als hätte ich eine Art Entgasung gesehen, an einer Dichtung. Vielleicht sollten wir einen Ingenieur dazuholen.«
Freeman ließ den
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