Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
hängt. Ihre Stimme klingt belegt, beinahe tonlos.
Nein.
Minus neun Grad.
Scheiße.
Was sollen wir jetzt tun?
Eine gute Frage, aber ihm fällt keine Antwort ein. Der Grill verströmt Hitze wie Badewasser; er nimmt Mels zitternde Hände und hält sie nahe daran. Die Taschenlampe auf der Matratze neben Brad brennt noch, und in ihrem Schein leuchtet Mels Gesicht so weiß und kalt wie der Schnee. Ihr Atem geht in raschen, dampfenden Stößen.
Okay, sagt er schließlich. Bis morgen früh können wir ja eh nichts tun. Wenn dann die Sonne aufgeht, machen wir uns ein Bild von der Lage. Mel?
Wie kannst du so reden?, fragt sie.
Sie starrt auf ihren Schoß hinunter, ihre Schultern zucken. Ihre Hände ballen sich zu Fäusten.
Die Worte kommen geborsten heraus: Wir erfrieren.
Nein!, sagt er. Mel, komm her.
Sie rutscht näher, ihr Mund verzerrt, ihr Atem säuerlich. So hat sie vor ihm noch nie geweint; dass sie bei kleinen Dingen ein bisschen weinerlich wird, kennt er, aber richtiges Schluchzen … Es ist schrecklich. Mag sein, dass sie Recht hat – sein eigener Körper ist taub vor Kälte und Angst -, aber er erträgt es nicht, sie so zu sehen.
Jetzt komm, sagt er. Hey. Komm. Wir erfrieren bestimmt nicht.
Ein Aufwinseln: Wie denn?
Uns fällt schon was ein, sagt er. Das Einzige, was wir uns jetzt nicht leisten können, ist Panik, ja?
Er drückt sie an sich, streichelt ihr Haar, ihre Wangen, bis sie – endlich – tief durchatmet: zittrig, aber tief.
Dann spricht sie mit kleiner Stimme aus, was er denkt: Aber was ist, wenn uns das Gas ausgeht?
Ich weiß noch nicht. Ich überleg schon immer. Überleg du auch.
Brad – ich kenn die Schneestürme hier oben. Es erfrieren andauernd Leute …
Hör zu, sagt er. Es kann nicht ewig weiterschneien. Wir warten, bis es aufhört. Wir haben noch kaum Gas verbraucht. Okay? Du ziehst jetzt alle deine Kleider übereinander und bleibst dicht bei mir. Morgen früh wird es wieder warm.
Das weißt du aber doch nicht -
Nein, sagt er, aber daran glaube ich.
Sie nickt, aber er kann sehen, wie die Furcht in ihr arbeitet. All die Dinge fallen ihm ein, die er getan hat, um sie beide in diese Lage zu bringen – Mel zum Herfahren beschwatzt, das Tanken vergessen -
Mel, sagt er. Es tut mir leid. Das ist alles meine Schuld.
Sie schüttelt den Kopf. Nein. Nein, du kannst nichts dafür.
Doch. Und ich denk mir was aus, ich versprech dir’s.
Eine lange Zeit starrt sie ihn nur an, die Lippen aufeinandergepresst. Der Wind heult lauter, und er lässt seine Finger an ihrer Wange liegen. Sie schließt die Augen und nickt.
Sag es zusammen mit mir, sagt er. Wir schaffen das.
Sie schlingt ihm einen Arm um den Hals und flüstert: Wir schaffen das.
Nach einer Weile ist Mel eingedöst, auf Brads Schoß zusammengerollt, und er ist froh darum; wenn sie wach ist, sorgt er sich zu sehr um sie, und dann arbeitet sein Gehirn nicht richtig. Er sitzt über den Grill gebeugt und versucht, sämtliche Möglichkeiten zu durchdenken. Viele sind es nicht.
Er hat Mel gesagt, dass das Gas reicht, aber das war reine Spekulation – der Grill hat keine Anzeige. Er lässt die Flamme jeweils nur so lange an, bis sich die Luft um sie herum erwärmt. Sooft er den Grill zündet, fängt Mel an zu murmeln, und er hält ihre Hände oder ihre Füße nahe an die Hitze. Aber dann, wenn er den Knopf wieder herunterdreht, steigt die Kälte mit schrecklicher Geschwindigkeit durch die Matratze hoch, wie Wasser, das ein sinkendes Boot füllt.
Seine Gedanken drehen sich im Kreis. Er ist erschöpft, aber er traut sich nicht, zu schlafen – würde er wieder aufwachen können, wenn es im Raum zu kalt wird? Er hält Mel und horcht auf den Wind. Manche Böen rütteln mit solcher Gewalt an den Wänden, dass er die Augen schließt und nur darauf wartet, dass die Hütte auseinanderfliegt und er und Mel emporgesogen werden in die Lüfte.
Irgendwann später – sie haben beide keine Uhr dabei; er hat keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen ist, aber es kommt ihm vor wie hundert Jahre – schaltet er den Grill aus und stellt fest, dass er Licht sehen kann, dass es hinter der Decke hell ist. Er kann den Umriss seiner Hand ausmachen. Die Sonne geht auf.
Er macht sich von Mel los und schlurft durch die Hütte zur Tür. Als er hinausschaut, wünscht er sich augenblicklich, er hätte es bleiben lassen.
Der Wind heult immer noch, die Flocken wirbeln unverändert. Es hat so viel geschneit, dass Brad es gar nicht alles auf einen Blick
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