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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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sterben, wenn du bei mir bist.
    Er kann ihr nicht eingestehen, dass er genau das fürchtet.
    Überleg doch, sagt sie. Ihre kalten Hände schlingen sich angstvoll um seinen Brustkasten, seinen Hals. Angenommen, du kommst durch. Wir werden verhaftet. Du musst zurück ins Gefängnis.
    Natürlich, sie hat daran gedacht.
    Wie er ja auch. Aber gleichzeitig hat er, immer wieder in der letzten Stunde, an die Wohnung in Chicago gedacht – Mels und seine Wohnung, in der sie eines Tages leben werden. An die warmen Sommernachmittage. Und er hat gedacht, wenn Mel da ist – wenn Mel auf ihn wartet, in solch einer Wohnung -, dann steht er die Zeit durch.
    Er stellt sich seinen ersten Tag in Freiheit vor: wie sie Essen beim Chinesen holen, schön scharfes, und sich dann lieben, wie sie sich noch nie geliebt haben.
    Ja, sagt er. Ich weiß. Aber das steh ich durch.
    Sie fängt zu wimmern an, das Gesicht an seine Brust gepresst.
    Mel, sagt er und streichelt ihr Haar. Ich hab uns da reingeritten. Das hier war meine Idee. Wenn ich nicht versuche, es wieder hinzubiegen -
    - dann werde ich meines Lebens nicht mehr froh, will er eigentlich sagen. Aber er verbeißt es sich.
    Sie antwortet nicht.
    Du weißt, dass es keine Alternative gibt, sagt er. Gleich morgen früh geh ich.
    Später holt Brad einen der Stühle unter die Decke und stellt die brennende Kerze darunter. Er hat zu lange ohne Schlaf auskommen müssen; die Kerzenflamme verschwimmt zu waagrechtem gelbem Gestrichel. Er nickt ein, während Mel noch um seinen Hals hängt.
    Irgendwann merkt er, dass sie wieder weint. Draußen heult unverändert der Wind. Mels kalte Hände liegen um sein Kinn. Seine Füße sind jetzt auch taub.
    Brad, flüstert Mel. Wir schaffen das nie bis zum Morgen.
    Klar schaffen wir’s, sagt er.
    Sie legt den Mund an sein Ohr. Du musst mir etwas versprechen, sagt sie.
    Was?
    Wenn ich es nicht schaffe, und du schon – dann geh einfach. Lass mich hier.
    Mel -
    Das ist mein Ernst, sagt sie. Ich will nicht, dass du ins Gefängnis musst. Nicht wegen dieser Geschichte. Und ich will nicht, dass du dir Vorwürfe machst. Du kannst nichts dafür. Ja?
    Ihre Augen sind zwei schwarze Löcher direkt vor seinem Gesicht.
    Versprich’s mir, sagt sie. Wenn du mir helfen willst, versprich es.
    Ich verspreche es, sagt er.
    Sie küsst ihn. Sie zittert am ganzen Körper und ist kalt, überall kalt.
    Ich liebe dich, sagt sie. Mach, dass mir warm wird.
    Es ist schwierig, aber sie kriegen es hin. Die Decke um ihre Leiber füllt sich mit Hitze auf. Brads Lippen sind trocken und rissig, aber zwischen ihnen beiden meint er – es ist so plastisch, dass er es beinahe sehen kann – ein Glühen zu spüren wie von der warmen roten Spirale einer Heizsonne.
    Mel sagt: Sag mir, dass du mich liebst.
    Und er sagt es ihr, wieder und wieder.
    Am Schluss will er sich aus ihr herausziehen, aber sie sagt: Nein, nicht. Er spürt Panik und Freude zugleich, und ein Flattern im Magen – nicht nur, als er kommt, sondern noch darüber hinaus – ein Gefühl, wie er es vom Schwimmen her kennt, vom ersten Schritt ins Tiefe: die Angst unterzugehen, und als Nächstes der Friede, wenn er losgelassen hat und das Wasser ihn trägt.
    Mel fährt ihm mit den Händen den Rücken hinab und seufzt. Du bist so warm.
    Hinterher nimmt sie die Kerze und stattet dem Eimer einen Besuch ab. Er kann die Augen nicht offenhalten. Sie bleibt eine Ewigkeit weg, und er will schon fast nach ihr rufen, als sie hastig zurückgetrappelt kommt. Sie schlottert und bebt, und als sie unter die Steppdecke kriecht, reibt er ihren Körper und fühlt sich selbst kalt und schwer dabei.
    Halt mich ganz fest, sagt sie.
    Später denkt er, sie muss einen Traum haben. Ihre Hände rudern über der Decke durch die Luft, und sie keucht.
    Pscht, sagt er und fängt ihre Hand ein.
    Sie murmelt etwas, das wie sein Name klingt, und schaudert und drängt sich an ihn.
    Pscht, sagt er. Ist ja gut.
     
    Als er das nächste Mal aufwacht, ist es still in der Hütte. Der Wind faucht, aber nicht so heftig wie zuvor. Brad starrt lange Zeit auf die Steppdecke nur ein paar Zentimeter vor seinem Gesicht, auf das Huschen des Kerzenscheins auf dem Stoff, und versucht zu begreifen, wo er ist. Er hebt die Steppdecke an – in der Hütte ist es dunkel; es ist immer noch dieselbe Nacht. Aber es hängt ein furchtbarer Gestank in der Luft, zusätzlich zu dem beißenden Schimmelgeruch der Decke.
    Er fragt sich, wann Mel endlich vom Klo zurückkommt, weil er so friert, und

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