Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
rufen, und fragt sich, ob er mit seinen durcheisten Händen wohl das Feuerzeug anbekommt, zumindest lange genug für einen letzten Blick.
Die Brandblase am Daumen fällt ihm ein, die er sich damals als Schüler geholt hat, als der Strom ausgefallen war und er mit dem Feuerzeug seiner Mutter möglichst viele Kerzen anzünden wollte – und wie idiotisch er sich vorkam, als sie ihm dann sagte, er hätte doch eine Kerze an der anderen anzünden können -
Mensch, Scheiße, sagt er zu Mel.
Er rappelt sich hoch und tappt auf seinen tauben Füßen durchs Zimmer, tastet sich mit den Händen zum Spülbecken, sein Atem ein rasches Keuchen. Denn er erinnert sich – sieht sie so deutlich, als leuchteten sie im Dunkeln: Unter dem Becken, in einem angeschimmelten Schuhkarton, liegen zwei Kerzen und ein Heft Streichhölzer.
VI.
Brad hatte vor Mel schon haufenweise Frauen gekannt. An weiblicher Aufmerksamkeit hatte es ihm, seit er an Mädchen interessiert war, nie gemangelt – schon gar nicht in den Jahren, während derer er mit Pot nur so um sich werfen konnte. Sie kamen, sie gingen, und das war in Ordnung so. Er sah es von der lockeren Seite, ließ sich in keines der Schwachsinnsdramen hineinziehen, in die seine Freunde sich ständig verwickelten. Er war mit keiner Frau länger als ein paar Monate zusammengeblieben: unbegreiflich, diese Typen, die es doch eigentlich besser wussten und dann über Nacht wegen einem Mädchen den Kopf verloren – die eben noch ganz normale Menschen waren und im nächsten Moment herumwinselten wie kastrierte Köter.
Aber nach wenigen Wochen mit Mel hätte Brad nicht sagen können, wem er mehr glich: einem verliebten Siebtklässler, der seine Hefte mit Herzen vollmalt, oder einem Junkie.
Normalerweise war er kein großer Telefonierer – er telefonierte manchmal Wochen am Stück nicht. Jetzt rief er Mel heimlich aus dem Lagerraum der Imbissbar an, in der er arbeitete. Ich bin’s, nuschelte er dann, nach seinem Chef ausspähend. Ups, ich muss Schluss machen. Und in den Nächten, die sie nicht zusammen verbrachten, rief Mel spät abends bei ihm an. Erzähl mir was zum Einschlafen, sagte sie. Und er erzählte.
Mel hatte Sommerkurse belegt und jobbte im Studentensekretariat. An seinen freien Tagen nahm Brad die Bahn nach DePaul und drückte sich in der Cafeteria herum, bis Mels Kurs oder Schicht aus war. Da hockte er, zwischen all diesen ordentlich gekleideten Studenten, und kam sich wie ein Hochstapler vor, so als müsste ihm jeder im Raum ansehen, dass er hier nichts verloren hatte – aber trotzdem machte ihm die Warterei nichts aus, denn sie bedeutete mehr Zeit mit Mel. Wenn sie in die Cafeteria kam und ihn sah – wenn ihr Gesicht aufleuchtete -, hatte es sich schon gelohnt.
Nach einer Weile ordnete Mel an, dass sie sich nicht berühren durften, bevor sie nicht ihr Pensum erledigt hatte; mit ihren Noten ging es bergab. Also machten sie ein Spiel daraus. Sie setzten sich in ein Café, an getrennte Tische. Brad las oder hörte CDs auf seinem Discman, während sie ihre Hausaufgaben machte, und wenn er sie dabei ertappte, wie sie zu ihm herübersah, drohte er ihr mit dem Finger. Wenn sie schließlich fertig war, rutschte sie zu ihm auf die Bank und küsste ihn. Die Hälfte der Zeit brachen sie dann schleunigst zu Mel nach Hause auf. Die restlichen Male saßen sie die halbe Nacht da und redeten.
Dann erzählte sie ihm, wie gern sie Lehrerin werden wollte – wie schön sie es fand, mit Kindern zusammenzusein. Daheim in Michigan hatte sie, so wie es klang, mindestens zwei Dutzend kleine Cousins und Cousinen und Nichten und Neffen. Sie vermisste es, sie zu sitten, ihnen vorzulesen. Ich wäre eine gute Lehrerin, glaube ich, sagte Mel. Was meinst du?
Und wie, sagte er ihr. Sie hatte ihn umgekrempelt, in ein paar Wochen nur; wenn sie ihm die Augen öffnen konnte, dachte er, dann konnte sie es bei jedem.
Wie sie es allein schon verstand, ihn zum Reden zu bringen! Auf jeden Grunzer von ihm stürzte sie sich und wollte wissen, was er damit genau meinte und was er von diesem hielt oder von jenem, und sie selbst meinte ja … das Tempo, das sie vorlegte, gab ihm manchmal ein Gefühl, als wäre er auf Speed.
Eines Tages, ganz am Anfang noch, hatte Mel ihn dazu gebracht, ihr von seiner Musik zu erzählen, davon, dass er vielleicht Lust hätte, irgendwann einen Club aufzumachen oder Songs zu produzieren. Oder DJ zu sein. Ich meine, immerhin, sagte er. Wir haben uns in einem Club kennengelernt. Das
Weitere Kostenlose Bücher