Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
auch, wenn es niemanden wegzujagen gibt.
Er stellt den Streifenwagen ab und steigt aus. Er geht langsam in die Wiese hinein. Er setzt sich auf den bröckelnden Beton am Rande des Kraters, sieht hinein, sieht zum Himmel hoch, schließt die Augen.
Wenn er seine Laute ausstößt, wird es still im Wald. All die Tiere ducken sich, und ihre Ohren zucken, während der Mann bellt und heult.
Lange bleibt er nicht.
Nachdem sein Streifenwagen den Feldweg hinabgeruckelt ist, herrscht im Wald und auf der Wiese eine Zeitlang Schweigen. Aber nicht lang, und was dort lebt, fängt zu wittern an, schnuppert, wagt sich vorsichtig, ruckhaft wieder ans Licht. Schnauzen schubbern über den Boden, in Mauselöcher. Die einen fressen, die anderen werden gefressen.
Hier werden Erinnerungen in Muskeln und Mägen bewahrt, nicht im Geiste. Der Polizist und das Haus und all die Menschen, die da waren und wieder gegangen sind, sind nicht vergessen.
Es wird nur nicht an sie gedacht.
1987
Sheriff Larry Thompkins zog fröstelnd das Kinn ein und ließ den Motor laufen, während er das Viehgatter aufschloss, das den Zugang zum Sullivan-Wald versperrte. Das Gatter schwang nach innen, ächzend, und die Scheinwerfer des Streifenwagens beleuchteten ein Stückchen Fahrspur bis zu der Stelle, wo sie zwischen die Bäume abschwenkte. Larry richtete sich auf, schaute nach rechts und nach links, dann auf die geteerte Landstraße hinter ihm. Kein anderes Auto zu sehen, nicht einmal auf dem fernen Highway. Der Himmel hatte sich zugezogen – vielleicht würde es schneien -, und die Felder hinter ihm waren nahezu unsichtbar in der mondlosen Dunkelheit.
Larry ließ sich hinters Lenkrad fallen, dankbar für die Wärme, für das Knistern und Krachen aus seinem Funkgerät. Er steuerte den Wagen vorsichtig durch das Tor und auf den Waldweg, dann schaltete er auf die Parkleuchten um. Die Baumstämme vor ihm verloren an Kontur, färbten sich orange. Das nächste menschliche Wesen, der alte Ned, wohnte eine halbe Meile entfernt, aber Ned, der an Schlaflosigkeit litt, saß oft an seinem Schlafzimmerfenster und schaute zum Sullivan-Wald herüber. Wenn Larry seine Scheinwerfer eingeschaltet ließ, würde Ned sie sehen. Seit vor drei Monaten Patricia Pikes Buch erschienen war, bewachte Ned den Zugang zum Wald, als hätte er den militärischen Auftrag dazu.
Larry hatte laufend Eindringlinge verscheucht in der Zeit seit den Morden – zwölf Jahre würden es im Dezember sein. Er hasste es, zum Sullivan-Haus rauszufahren, aber schließlich musste er seine Arbeit machen – wenn er nicht nach dem Rechten sah, tat es keiner. Die Eindringlinge waren fast ausnahmslos Schüler der Highschool, die zum Mörderhaus kamen, um sich zu betrinken oder zu kiffen, und obwohl Larry sie immer ins Gebet nahm und bei den ganz Schlimmen für ein Nachspiel sorgte, wusste er natürlich, dass Jugendliche nun mal Unfug anstellen; richtig übel nehmen konnte er es ihnen nicht. Larry war selber als Sechzehnjähriger im Rausch von einem Scheunendach gefallen und hatte sich zweifach den Arm gebrochen – alles nur, um einem Mädchen zu imponieren, das dann doch nicht mit ihm ausging.
Aber seit diese Pike ihr Buch herausgebracht hatte, herrschte ein richtiggehender Rummel hier draußen. Allein in der letzten Woche hatte Larry dreimal rausfahren müssen. Hauptsächlich waren es immer noch Jugendliche, mehr Jugendliche denn je – aber auch Leute aus der Stadt, von denen ihm manche schlicht geisteskrank vorkamen. Erst letztes Wochenende hatte Larry ein Pärchen vertrieben, zwanzig oder älter, das auf einer Decke lag und eine grässliche Musik aus seinem Ghettoblaster plärren ließ. Sie hatten ihm – ganz ruhig, so als müsste er das ja wohl einsehen – erklärt, dass sie über Zauberkräfte verfügten und hier ein Kind zeugen wollten. Dem Haus, sagten sie, wohnten mächtige Energien inne. Als sie abgezogen waren, sah Larry hoch zu den leeren Fenstern, diesem blöde blickenden, toten Häusergesicht, und konnte sich keinen größeren Unsinn vorstellen.
Der Streifenwagen holperte schlingernd den gewundenen Waldweg entlang. Larrys viele Extrafahrten hatten die Furchen noch vertieft – den ganzen Herbst pflügte er jetzt schon durch Schlamm und Eis. Ab und zu drehten die Reifen durch, und er versuchte nicht daran zu denken, was wäre, wenn er sich herausziehen lassen müsste – was für Geschichten er zur Erklärung erfinden müsste. Aber dann kämpfte sich der Wagen mit einem Aufjaulen doch
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