Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
Lebendiges raschelte hastig davon: ein Waschbär, oder eine Beutelratte. Vielleicht sogar ein Fuchs; Wayne hatte ihm einmal erzählt, im Wald wimmele es von Füchsen, aber in der ganzen Zeit, die Larry nun schon hier herauskam, hatte er noch keinen einzigen gesehen.
Er ließ den Blick über die Wände wandern. Ein paar neue Graffiti waren dazugekommen: KILL’EM ALL, hatte jemand an die Wand gesprüht, vor der einmal der Weihnachtsbaum gestanden hatte. Die älteren Botschaften hielten tapfer die Stellung. Eine lautete: HEY WAYNE, RÄUM AUCH MAL BEI MIR AUF. Neben einer schartigen, grob zugespachtelten Vertiefung in derselben Wand hatte jemand einen Pfeil gemalt und dazugeschrieben: HIRN. Dazwischen fanden sich kleinere Kritzeleien in Filzstift – typisches Oberschüler-Gekritzel: Initialen, Abschlussjahre, geistlose Sexwitzchen, Bilder von Genitalien.
Und dort drüben, in der Ecke, lag ein Exemplar von In der Nacht vor dem Christfest, die Seiten aufgewellt von Feuchtigkeit.
Larry rieb sich die Schläfe. Warum nicht gleich mit dem Buch anfangen.
Er beförderte es mit dem Fuß in die Mitte des Wohnzimmerbodens und spritzte Benzin darüber. Ein Stückchen weiter war ein Spalt, wo der Teppichboden aufgerissen war. Er rollte Zeitungsseiten zusammen, stopfte sie unter den Teppich und besprengte auch sie. Er legte Benzinspuren von dem Buch und dem Nest mit den Zeitungen bis zur Haustür. Er schüttete Benzin von der Verandakante aus im hohen Bogen auf Tür und Türpfosten, bis der Kanister leer war.
Dann stand er auf der Veranda, den stechenden Geruch in der Nase, keuchend – Gott, war er schlecht in Form. In seinem Kopf pochte und stach es. Er ballte die Faust um das Feuerzeug, bis der Schmerz nachließ.
Larry war kein religiöser Mensch, aber er versuchte trotzdem zu beten: Herr, behalte sie in deiner Hand. So wie bis jetzt doch auch. Und bitte hilf, dass es klappt. Aber das Gebet klang zu jämmerlich, also brach er ab.
Er zündete ein zusammengeknülltes Stück Zeitungspapier an, wartete kurz, bis es loderte, und hielt es dann an die Türschwelle.
Das Feuer leckte sofort am Türstock hoch, züngelte in Schlangenlinien über den Teppich zu dem Buch und den Zeitungen. Durch die Tür konnte er sie brennen sehen, bevor dicker grauer Qualm ihm die Sicht nahm. Nach ein paar Minuten sanken die Flammen in sich zusammen. Auch Brandstiften wollte gelernt sein – es war alles feucht da drin. Er holte den zweiten Kanister aus dem Kofferraum und steckte eine zusammengedrehte Zeitung in die Tülle. Er vergewisserte sich, dass er freie Bahn hatte, zündete das Papier dann an und warf das Ganze ins Haus. Der Kanister explodierte auf der Stelle mit einem dumpfen Knall, und orangegelbes Licht schlug an einer der Innenwände empor. Die Flammen an der Türschwelle flackerten, beruhigten sich wieder und begannen, außen die Verschalung hochzuklettern.
Larry ging zum Streifenwagen zurück und zog die Whiskeyflasche unterm Sitz hervor. Er dachte an Jenny; er dachte daran, wie er als Junge mit Wayne hier auf der Wiese gezeltet hatte. Er hatte gesehen, wie das Haus gebaut worden war; er hatte die Menschen darin leben und sterben sehen. Larry hatte geglaubt, es müsse ihm eine gewisse Befriedigung bereiten, nun auch sein Ende mit anzusehen, aber stattdessen schnürte sich ihm die Kehle zusammen. Irgendwann im Lauf der Jahre war das hier sein Haus geworden. Seit einer Weile empfand er das schon: Offiziell mochte das Sullivan-Haus der Gemeinde gehören, aber in Wirklichkeit hatte Wayne es ihm hinterlassen.
Ein Bild flirrte ihm durch den Kopf – nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Er sah sich das brennende Haus betreten, die Treppe hinaufsteigen. In seinem Kopf ging das völlig schmerzlos vor sich, auch als das Feuer sich seiner Kleider bemächtigte, der Patronen in seinem Revolver. Er würde sich oben in Jennys Nähzimmer setzen und die Augen zumachen, und es würde im Nu vorbei sein.
Er schniefte, kniff sich in die Nasenflügel. Was für einen Schwachsinn phantasierte er sich hier zusammen. Er hatte Menschen gesehen, die verbrannt waren. Er würde sterben, o ja, aber schreiend, wild um sich schlagend. Bei der Vorstellung wurden ihm Arme und Beine schwer; unter seiner Haut kribbelte es.
Larry legte den Rückwärtsgang ein und stieß vorsichtig zurück, weg vom Haus, aus der Einfahrt hinaus auf den Waldweg. Wohl zehn Minuten schaute er zu, wie das Feuer um sich griff, und versuchte an gar nichts zu denken, nur die Flammen zu sehen.
Weitere Kostenlose Bücher