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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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Hörer baumelt nach wie vor neben der Gabel. Die Polizei ist schon unterwegs hierher.
    Wieder berührt er ihr Haar. Er muss sie auf den Gehsteig legen, wegfahren.
    Oder eben nicht.
    Diese neue Idee ist keine Verrücktheit, wie sein Einfall mit dem Ausflug nach Michigan. Sie macht ihn nicht zittrig am ganzen Körper, wie die Erkenntnis, dass er Mel liebt. Sie hat nichts Quälendes, nichts von einer Bestrafung. Nicht so wie die Aussicht, allen etwas vorlügen zu müssen. Behaupten zu müssen, er liebte sie nicht mehr.
    Du hast es versprochen, hört er sie sagen.
    Mel, sagt er ihr, jetzt liegen die Dinge anders.
    Das hier kriegt er hin.
    Er legt den Arm um Mel und zieht sie an sich. Er berührt die lose Haarsträhne mit den Lippen. Er hat sich auf einen Geruch gefasst gemacht, aus dieser Nähe, aber da ist nichts, nur die Dünste der Hütte – Schimmel, Rauch -, die sich in der Steppdecke festgesetzt haben. Er fährt mit der Hand über den Stoff, spürt darunter Mels Ohr, die Linie ihres Nackens, die Schädelwölbung.
    Er schließt die Augen, während er wartet, und denkt an Mel, so wie er sie zum erstenmal gesehen hat: tanzend wie eine Verrückte, ihr kleiner Körper hin und her peitschend, aus den Gelenken schlackernd, die Fäuste geballt und die Zähne gefletscht, ihr Haar wild herumfliegend, während sie den Kopf von einer Seite auf die andere warf, als sagte sie nein nein nein zu allen außer ihm.
    Er denkt an die Überraschungen: die Narben an ihren Handgelenken. Ihre tiefe Stimme. Daran, wie sie sich beim Lachen immer vornübergekrümmt hat. Wie sie sich an ihn gedrückt hat, wenn sie froh oder traurig war. Daran, wie stolz ihn das immer gemacht hat. Und daran, wie sie in der Nacht neulich, als sie ihn fragte, ob sie zusammenziehen wollen, von vornherein wusste, dass er ja sagen wird.
    Brad erinnert sich in allen Einzelheiten an diese Nacht: wie viel Angst er anfangs hatte – aber auch, wie leicht es ihm letztlich gefallen ist, seinen Widerstand aufzugeben. Wie Mel erst wütend auf ihn war, aber nur so lange, bis er die Arme nach ihr ausgestreckt und sie ganz fest an sich gezogen und es ihr gesagt hat: dass er alles versucht hat, aber er kann und kann sich keine Zukunft vorstellen, in der sie nicht bei ihm ist.

In der Nacht vor dem Christfest
     

JETZT
     
    Die Wiese ist leer, rundherum kahler Herbstwald.
    Die Bäume des Walds – Eiche, Ahorn, Robinie – wachsen durch einen Filz aus wucherndem Strauchwerk, rostbraunen Blättern, Haufen von dürrem Bruchholz. Der Himmel darüber ist glänzendblau, mit ein paar hohen, schnellen, durchscheinenden Wölkchen darin – aber die dichten Baumkronen schirmen alles Tiefergelegene ab, auch die Wiese. Und hier, am Wiesenrand, beginnt ein Weg, zwei Furchen mit grasigem Mitteldamm, die sich in den Wald schlängeln und verschwinden.
    Die Wiese ist struppig von hohem gelbem Gras, Dornengerank und vereinzelten Schösslingen – außer ganz in der Mitte. In der Mitte ist eine breite, rechteckige Vertiefung, ihre Ränder markiert von den verfallenen Überresten eines Betonfundaments. Den Boden bedecken bröckelnder Beton und Asche, kaum sichtbar unter dem dünnen Unkrautteppich. Ein rußgeschwärzter Balken hängt im schiefen Winkel über den Rand, an der Unterseite weich und zerfasert. Zwei Eichen beugen sich über das Fundament, beide nach vorne zu angesengt.
    Manchmal äsen Hirsche auf der Wiese. Waschbären und Kaninchen sind immer in der Nähe; sie haben ihre eigenen Zickzackpfade zwischen den Halmen. Ein Fuchs wohnt in den Bäumen nahebei, rostrot und flink. Die Gänge seines Baus, die sich zwischen Baumwurzeln durchwinden, sind glattpoliert von seinem Bauch.
    Manchmal kommt ein Auto die Fahrspur entlanggekrochen und parkt am Rand der Wiese. Die Leute im Auto steigen aus und stapfen durchs Gras. Sie machen Photos oder zeichnen, oder sie lesen in einem Buch. Manchmal klettern sie auch in die alte Grube hinunter. Ein paar bleiben über Nacht, an Lagerfeuern kauernd.
    Wann immer solche Leute auftauchen, erscheint bald darauf ein Polizist, dick und mit grauem Haar. Manche von den Leuten reden mit ihm – und manche werden sogar laut -, aber alle fahren sie wieder ab, nachdem sie unter seinen Blicken ihr Zeug zurück in die Autos gepackt haben. Dann rumpelt er in seinem Streifenwagen langsam hinter ihnen die Fahrspur entlang. Wenn es schon dunkel ist, lässt das Kreiseln der roten und blauen Lichter auf seinem Dach die Bäume tanzen und springen.
    Manchmal kommt der Polizist

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