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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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erst um 1700 wurde sie mit getriebenen Silberplatten verkleidet. Das Edelmetall stammt von der spanischen Unterwerfung Südamerikas. Der heilige Jakob, Jakobus der Ältere, Sohn des Zebedäus, Bruder des Johannes, einer der zwölf Jünger Jesu, wurde im Jahre 43 auf Befehl des Königs von Judäa geköpft, und da ihm angeblich das Grab verweigert wurde, von seinen Jüngern im Boot nach Spanien gebracht. Als Nebenfigur ist er auch als Matamoros der Maurentöter am Altar präsent. Man steigt zum Apostel hinter dem Altar über eine Treppe hinauf und umarmt ihn zum Zeichen der Erfüllung des Gelübdes. So ein sichtbares Zeichen scheint irgendwie nötig und statthaft. Freilich tun zigtausend schnöde Touristen mit Hingabe dasselbe, so daß man da gut anstehen kann. Schlange stehen ist zwar nicht mein Ding, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Man kann nicht wegen einer Menschenschlange davon laufen, wenn man deshalb ganze Monate unterwegs war. Also absolvierte ich den Besuch beim Apostel wie alle anderen auch. Kurz und bündig. Unten, in der kleinen Krypta nahm ich mir dann am silbernen Schrein des Apostels bißchen mehr Zeit. Brave Pilger und Touristen warteten, ohne mich zu bedrängen, und ich durfte all deren bedenken, die mir auf dem Weg begegneten, mich eine Weile begleiteten und mir Gutes taten, und denen ich versprach, für sie am Grab des Apostels zu beten. Dafür hätte ich mir gerne noch mehr Zeit genommen.
    Ich wollte diesen kostbaren Augenblick festhalten und lungerte noch eine ganze Weile herum, aber die Kathedrale wurde irgendwie nicht leerer und ruhiger. Alles hat ein Ende, auch die Ankunft in Santiago, und ich hatte mich noch um andere Dinge zu kümmern. Vor allem wollte ich endlich etwas essen. Ganze drei Tage habe ich schon gefastet. Mit dieser Ausrede genehmigte ich mir in einem kurdischen Restaurant ein Gyros mit Cola. Das fette Essen bekam mir aber nicht. Offenbar war ich noch nicht so weit. Danach streifte ich noch ein wenig durch die Gassen der Altstadt, derer es im großen und ganzen zwei gibt, und versuchte ein wenig von der feierlichen, aufgeregten Atmosphäre einzusaugen. Bald aber wurde ich der vielen Menschen überdrüssig und wollte mich lieber um die Unterkunft kümmern. Ursprünglich geplant war der Aufenthalt in einem Kloster. Ich habe mich darauf ziemlich gefreut, weil es ein würdiger Abschluß dieser Pilgerreise wäre. Hier wollte ich gleich mehrere Tage bleiben, mich in Liturgie vertiefen und Erlebtes reflektieren. Aber das Haus machte schon Ende August die Tore zu. Ende der Sommersaison. Mir kam diese Begründung absurd vor, aber es war nicht zu ändern. Und wer weiß, ob es tatsächlich ein richtiges Kloster war oder nur so hieß. Es war hier alles eine Gradwanderung zwischen Glauben und Kommerz. Aus einem Franziskanerkonvent machte man eine Luxusherberge. Ein anderer würdiger Ort war gewiß das Hostal de los Reyes Católicos , das traditionelle Pilgerhospiz seit Gedenken. Aber wie konnte man solch bedeutende Gebäude irgendwelchen armen, verschwitzten Pilgern überlassen? Nein, man machte daraus ein Luxus pur. Wie schon in León. Und eigentlich überall in Spanien. Ich sah hinein, nur so aus Neugierde und Frechheit. Innen war es noch schöner, als es mir von außen möglich schien. So etwas ist freilich nicht umsonst. Also, nichts für mich. Und eigentlich paßte ich da auch nicht hin. In meinen Lumpen und mit einem Kopf, in dem sich ein dreitausendmetergroßes Loch auftat. Als die frommste Variante des Santiagoaufenthaltes blieb nur das Seminario Menor de Belvis noch übrig. Auch das war freilich keine geistliche Einrichtung, obwohl es einst tatsächlich ein Priesterseminar war, sondern nur eine Massenunterkunft für Pilger.
    Ich ging zurück ins Pilgerbüro, um das Gepäck abzuholen, und war nicht wenig überrascht, schon vom weiten eine riesige Menschenschlange zu erblicken. Sie war Hunderte Meter lang und mindestens fünf Personen breit, wog hin und her, brodelte und lärmte, als ob sie tatsächlich ein Eigenleben hätte. Ganze Gruppen standen hier, teilweise uniformiert gekleidet oder zumindest mit einem identischen Halstuch oder anderen Erkennungszeichen versehen. Auch die polnischen Buspilger waren da, nun wohl vom Mittagessen gestärkt und rebellisch, munter murrend über die schlechte Organisation hier. Ich staunte nicht schlecht. War ich denn nun tatsächlich am Vormittag mehr oder weniger allein hier, oder habe ich es nur geträumt? Wo kamen all diese Menschen

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