Bis ans Ende der Welt
hundert aggressiv summenden Fliegen an der Küchendecke und überall sonst einschließlich seiner selbst — den Schlaf der Gerechten und machte dabei einen beglückten, genügsamen Eindruck. „Brav, nicht einmal Brot will er im Schlaf haben,“ nannte es einst etwas zweideutig meine Mutter, wenn sie mich als Kind in Anwesenheit vor Bekannten nicht zu sehr loben wollte. Die schlanke Maschinenpistole rutschte dem Mann aus der Hand und duckte sich nun vor den griffbereit gekrümmten Fingern, die erstarrt über ihr in der Luft hingen. Die respektlosen Fliegen hüpften eifrig hin und her, ganz ohne Gefühl für die Staatsgewalt hier drinnen und die vermeintlichen Terroristen da draußen, eine wagte sich gar in das Loch des mir zugewandten Laufes, als ob so eine israelische Maschinenpistole ein völlig unbedeutender, toter Gegenstand wäre, auf den die Fliegen scheißen.
Ich erledigte mein Geschäft und schlich wieder zurück ins Bett, wo ich dank einer kostbaren Konzertpause selig einschlief. Bald, draußen wurde ein erster grauer Lichtschleier gerade sichtbar, machten sich dann die slowenischen Damen und noch ein Pilger eifrig ans Packen, Tütenrascheln, scharfes Flüstern und Hin- und Hergehen. Was wiederum zu einem heftigen Wirrwarr führte, denn der Bettendurchgang war nicht breit genug, um kurz & harmlos einander zu passieren, und die Agierenden konnten beim besten Willen nicht umhin, die noch Schlafenden anzurempeln und ihnen diverse Körperteile ins Gesicht zu strecken. Zumal, wenn man die Körpermaße einer Venus von Unterwisternitz eigen nennt. Auch ich wurde da wach und fragte mich verzweifelt, was diese Fanatiker denn um solch unchristliche Zeit denn nach Santiago zöge, und was sie dort zu tun gedächten. Bis in die Stadt waren es gerade noch fünf Kilometer bergab zu gehen, und es war jetzt gerade fünf Uhr. Nicht, daß es wirklich wichtig wäre. Es gibt ja viele ungelöste Fragen zwischen Himmel und Erde. Also schlief ich darüber wieder ein und achtete darauf, nicht früher wieder aufzuwachen, bis endlich alle draußen waren, und ich ungestört den eigenen Schwächen nachgehen konnte. Was mir im großen und ganzen gelang.
Endlich stand auch ich auf. Dabei machte ich mir alle Mühe, alles ganz langsam und behutsam angehen zu lassen und nichts zu überstürzen, denn dies war ein ganz besonderer Tag, an dem nichts schiefgehen durfte und bestimmt auch nicht schief ging, wenn ich nur meinen ungezügelten Willen im Zaum hielt und dem Herrn Raum in mir gewährte, so wie er ja Raum meinen Füßen gab. Also achtete ich darauf, mich in allem zurückzunehmen, nicht zu eifern und nichts zu begehren, tat alles leicht und vorsichtig, wie mit Flügeln berührt, damit es ja nicht zu viel wird. In der Küche traf ich dann nur noch Simon an, der es merkwürdigerweise auch nicht allzu eilig zu haben schien. Wir plauderten noch ein Stückchen, bis er sich endlich auf die Socken machte, und ich wollte ihm möglichst viel Vorsprung lassen, damit er nicht etwa irgendwo unterwegs zaudere, stehenbliebe, und ich ihn dann versehentlich einhole und sein grandioser Einzug in die Apostelstadt durch meine Gegenwart verpeste. Es war gut von mir, daran zu denken, und dafür klopfte ich mir einmal extra auf die Schulter. Guter Mann! Aber weil genug nie genug ist, zumindest nicht vor dem Herrn, nahm ich Mitleid an den hundert Fliegen in der Küche, die es ins Freie zog, öffnete das Fenster und ließ sie hinaus. Sie waren da nicht in Gefahr, da alle Kleinvögel, Igel und Eidechsen zuvor von den spanischen Jägern erschossen wurden. Ein paar Zauderern, die sich von den Töpfen nicht trennen konnten, mußte ich nachhelfen, fing sie im Flug flink mit der Hand und trug sie hinaus. Der Herr hat uns die Tiere anvertraut, und ich war hier der nächste in der Befehlskette. Eigentlich wäre dafür der Wachmann zuständig gewesen, aber so, wie diese Leute sind?!
Irgendwann half kein Zaudern mehr. Es war schon nach neun Uhr, die Baracke war komplett leer, und mein Platz war nicht mehr hier, sondern auf dem Pilgerpfad. Oder was davon übrig blieb. Ich schulterte den Rucksack und ging, noch etwas unsicher der Absicht des Herren wegen, denn all das hier war einfach unvorstellbar. Womöglich doch noch eine Falle? Draußen aber wartete schon der Herr, und zusammen bestiegen wir die breite Treppe, die durch das Pilgerdorf zum Fuß des Monte do Gozo führt. Alles war herrlich und mild, wie es sein sollte. Der Herr trieb sich beim Gehen auch nicht in der
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