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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Langweile mischte sich mit triebhafter Geschäftlichkeit. Das schreckliche Backpacker’s Hotel in Interlaken lastete noch an meiner Erinnerung. Aber eine passendere Alternative für die zwei letzten Nächte in der Schweiz sah ich nicht. Zunächst aber tat das Schicksal unschuldig. Ich bezog als einziger ein blitzblanksauberes Achtbettzimmer, suchte mir das aus meiner Sicht beste und sicherste Bett und erledigte die Wäsche mit Hilfe einer Waschmaschine. Dann suchte ich mir ein Geschäft, kaufte etwas zu essen und zu trinken und genoß das wohlverdiente Abendmahl in einem Park am Seeufer. Der Jet d’au , das Wahrzeichen von Genf, blies dazu ordentlich einen Wasserstrahl hundertvierzig Meter hoch in die Luft. Und das war auch gut so, weil es am nächsten Tag wohl einen Rohrbruch gab, und das Ding rührte sich nicht mehr. Hunderte Spaziergänger flanierten vorbei, die ich ungeniert beobachten konnte. Eine Lieblingsbeschäftigung von mir. Um so besser, daß es ein sehr bunter Haufen war. Fast jeder zweiter Bürger von Genf sei ein Ausländer, stand im Führer. Mindestens. Es kamen ja noch die vielen Touristen hinzu. Alle Sprachen der Welt zwitscherten durch die Zweige. Ein kosmopolitischer Mischmasch. Niemand kümmerte sich um mich, niemand nahm Anstoß an mir — oder einem anderen. Es sah so aus, als ob keiner der Anwesenden überhaupt merken würde, ließe man die anderen Menschen einfach verschwinden. Er würde dann weiter an seiner Melone essen, seine Kinder zurechtweisen oder sein Fahrrad fahren. Er würde nicht einmal mit der Wimper zucken. Er war die Nabel der Welt, die Welt in sich, völlig autark, bestens plaziert, absolut da zu Hause. Ich stellte mir es bildlich vor und saß so einen Augenblick ganz allein in dem verlassenen Park auf der Bank. Die Blätter raschelten in der Brise, in der Ferne zuckte mit Wucht der Wasserstrahl aus dem See empor gegen den blassen Himmel, ein Eichhörnchen holte sich blitzschnell eine liegengebliebene Nuß und verschwand wieder in der Baumkrone. Ich hatte eigentlich keine Angst, der letzte Mensch in Genf zu sein, aber ich hielt dennoch an. Es hätte ein Engel mit einem seltsamen Auftrag vorbeikommen können. Sie suchen sich immer solche Momente.
    Wieder zurück auf meinem Achtbettzimmer stellte ich fest, immer noch der einzige Schlafgast zu sein. Es war schon nach acht Uhr, und es war keine Sinnestäuschung oder ein fauler Zauber wie im Park etwa. Ich faßte Hoffnung auf eine ruhige Nacht, doch traute ich der Sache immer noch nicht und las lieber noch in der kleinen Bibel, die ich mit auf die Reise nahm. Neun Uhr und immer noch niemand. Also ging ich zu Bett, jetzt konnte keiner mehr kommen. Einschlafen war kein Problem. Ich entwickelte im Krankenhaus, als ich mich wochenlang nicht frei rühren konnte, ein System. Dazu schichte ich den Rumpf gerade auf den Rücken, ordne die Glieder so, daß sie während der Nacht gut durchblutet werden, drehe dann den Kopf zur Seite und schlafe in diesem Augeblick ein. Es ist ratsam, das Nachtgebet, und was sonst noch anstehen mag, bis dahin zu beenden, sonst wird es an diesem Tag einfach nicht mehr fertig. So schlief ich auch diesmal selig ein. Um zehn Uhr flog mit Krach die Tür auf, und das Zimmer wurde von sieben spanischen Bergsteigern gestürmt. Fünf Mann, zwei Frauen, laut rufend und intensiv nach Schweiß riechend. Allein der Geruch war messerscharf, es hätte der Rufe nicht bedurft. Wie ich bald verstand, kamen sie gerade von einer achttägigen Biwaktour in den Schweitzer Gletschern zurück. Duschen gab es dort freilich keine. Sie haben es auch nicht eilig gehabt, welche zu benützen. Zwar zogen sie sich sofort bis auf die Unterwäsche aus, aber erst entleerten sie unter noch mehr Geschrei und ständigem Ein- und Ausgehen die Rucksäcke und breiteten alles auf dem Boden und den Betten aus. Der Inhalt bestand überwiegend aus Plastiktüten, in denen Diverses sinnvoll vorsortiert wurde. Ein Problem war, daß die Tüten nicht durchsichtig waren und stets einzeln geöffnet werden mußten, um darin das jeweils Benötigte zu suchen. Es war dann meist nicht drin, was einen Anlaß zu Gesprächen und Rufen gab. Ein anderes Problem war, daß man sich den Inhalt — auch noch nach zehnmaligem Öffnen — nicht merken konnte und immerfort die laute Tüte wie einen Dudensack bediente. Mit etwa demselben Effekt. Schließlich gab es noch die Skistöcke. Sie fielen ständig um. Erst kam ein langgezogenes, knurrendes Geräusch, wenn die Stockkrallen

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