Bis ans Ende der Welt
auf dem glatten Boden und gleichzeitig die Griffe an der Wand scharrten, dann ein multipler schallender Schlag beim Aufprall auf den Boden. Das Zimmer jedenfalls versank im Chaos. Aber nichts dauert ewig. Es war noch nicht ganz elf Uhr, da waren alle vorhandenen Spanier geduscht und fein hergerichtet ausgehfertig. Anhand des Stadtführers diskutierten sie mit viel Elan, wo sie nun am besten zum Abendessen einkehren sollten. Sie wurden sich nicht einig. Also weckten sie mich aus dem Halbschlaf auf, um meine sachkundige Meinung einzuholen. Ich empfahl der Einfachheit halber den Inder gleich um die Ecke, aber sie argumentierten geschickt, der Italiener zwei Straßen weiter wäre bestimmt besser. Über der Diskussion schlief ich ein. Erst drei Stunden später, als die Tür mit Krach gegen die Wand flog, um den heimkehrenden Spaniern Platz zu machen, wachte ich wieder auf. Nun aber bestand die berechtigte Hoffnung, sie würden endlich schlafen gehen. So eine Biwaktour durch dir alpinen Gletscher muß doch anstrengend gewesen sein. Jawohl, sie waren tot müde, gähnten laut und ungeniert. Aber erst mußten sie ihre Rucksäcke packen. Der Rückflug ginge schon ganz früh am Morgen, mahnten sie einander. „Macht alles fertig!“ Sie leerten also die Rucksäcke, packten alle Tüten aus, schauten hinein, kommentierten die Funde, stopften alles wieder zurück in den Rucksack und wiederholten die Prozedur gleich wieder. Ich schlief darüber ein. Der Mensch gewöhnt sich schließlich an alles, außerdem hatte ich meine raffinierte Einschlaftechnik. Um drei Uhr dreißig wachte ich erneut auf. Sieben spanische Bergsteiger wälzten sich con gusto hin und her in den Betten und schnarchten unisono . Einer gab den Rhythmus an, stoßweise in seltsamen Grunzlauten. Ein anderer fiel akkurat mit Bass ein. Ein dritter schnalzte genau am Gipfel der Tonkurve mit der Zunge. Worauf alle für einen Augenblick still hielten, bis eine der beiden Frauen mit einem epischen Solo in die freudlose Stille rief, während die zweite mit kurzen, spitzen Schreiern den Konterpart übernahm, um gleich darauf zu einem sehr ordinären männlichen Schnarchen überzugehen. Der Refrain mit Grunzen, Schnalzen und Brummen kam wieder, doch in der nächsten dramatischen Pause raste unter dem geöffneten Fenster ein Auto mit Vollgas vorbei, worauf alle zum ultimativen Crescendo einsetzten, darüber aufwachten und nacheinander auf die Toilette gingen. Ich begann, einen tiefen Respekt für diese Nation zu fühlen. So viel Ruchlosigkeit und Vitalität hätte ich den Spaniern trotz Bürgerkrieg, Franco-Regime, Guardia Civil und Baskenterror wirklich nicht zugetraut.
Am Morgen war ich schon mit dem ersten Sonnestrahl auf. Als Pilger geht man mit den Hühnern ins Bett, schläft fest und tief durch die Nacht, und steht mit den Amseln auf. Währenddessen ruhten die Spanier noch tief und friedlich. Kein Schnarchen, kein Stöhnen, keine spitzen Schreie, nur ein volles, befreites Atmen des Statthaften war zu vernehmen. Ich stand leise auf, ging duschen und rasieren, doch als ich zurückkam, waren sie alle schon wie am Weggehen. Ich fragte mich ernsthaft, ob es doch nicht zu eitel sei, jeden Tag zweimal mit der Körperpflege Zeit zu vergeuden. Aber dann verwarf ich die eitle Selbstprüfung und ging lieber frühstücken. In der Schweiz war ein Frühstück immer im Preis der Übernachtung mit inbegriffen, dabei reichlich und gut. Sogar in einer Jugendherberge. Es gab Säfte und Kaffee, Käse und Wurst, Müsli und Joghurt. Von allem reichlich und in guter Qualität. Kein schlechter Start in einen Tag, von dem man nie wußte, was noch kommen mag. Hier aber stand der Koch Aufsicht, damit einer nicht etwa zu viel nahm. Auch mußte ich gleich wieder zurück aufs Zimmer, um den Zahlbeleg zu holen, denn offenbar kamen da auch irgendwelche Penner, um sich illegal am Büfett zu vergreifen. Ich schämte mich fast, eine zweite Tasse Kaffee zu verlangen, aber ich bekam sie freundlich lächelnd gereicht. Da schau mal her, die Schweizer! Der Herr ließ meine kleinliche Befangenheit einfach nicht gelten.
Ich stieß noch einmal auf die Spanier, die immer noch durch die Gegend rannten und Tüten in Rucksäcke stopften, und ging die Stadt besuchen. Dies freilich mehr gepreßt als im freien Entschluß, da eine jede Jugendherberge ihre Zimmer den Tag über schließt, damit die Gäste nicht wie in irgendeinem Hotel faul herumhängen. Mir wäre es nicht ganz zuwider. Wer wochenlang zu Fuß unterwegs
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